VERNICHTUNGSORT MALYJ TROSTENEZ.

GESCHICHTE UND ERINNERUNG.

Malyj Trostenez war zwischen 1942 und 1944 die größte Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Bis vor wenigen Jahren war dieser Ort fast völlig unbekannt.

Die Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“, ein deutsch-belarussisches Pilotprojekt, würdigt die Opfer und zeigt zugleich, auf welche Weise und an welchen Orten der Ermordeten gedacht wird.

EINLEITUNG

Warnschild am Lager Malyj Trostenez. Aufnahme der Außerordentlichen Staatlichen Kommission der Sowjetunion vom Juli 1944. Das Schild wird Anfang 1945 dem Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk übergeben und seitdem dort ausgestellt.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Malyj Trostenez, heute ein Vorort von Minsk, war zwischen Frühjahr 1942 und Sommer 1944 die größte  Vernichtungsstätte  auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Um die Spuren zu verwischen, ließen die Mörder Ende 1943 die Leichen der Opfer ausgraben und verbrennen. Die Außerordentliche Staatliche Kommission zur Untersuchung nationalsozialistischer Verbrechen schätzte im August 1944 206.500 Opfer   – vor allem belarussische, österreichische, deutsche und tschechische Juden, Zivilisten, Partisanen, Widerstandskämpfer und sowjetische Kriegsgefangene. Nach 1945 entstanden sowjetische Erinnerungszeichen, eine große Gedenkanlage wurde 2015 feierlich eröffnet. Die Ausstellung – ein deutsch-belarussisches Pilotprojekt – würdigt die Opfer und zeigt zugleich, auf welche Weise und an welchen Orten in Belarus, Deutschland, Österreich und Tschechien der Ermordeten gedacht wird. Sie beschäftigt sich aber auch mit der Topographie des Mordens und den Tätern. Sie hat zum Ziel, Malyj Trostenez als europäischen Tat- und Erinnerungsort in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern.

TERROR ALS REGIERUNGSPOLITIK

Hannover, 10. November 1938: Die brennende Synagoge in der Calenberger Neustadt.

HAZ-Hauschild-Archiv, Historisches Museum Hannover, Wilhelm Hauschild

TERROR ALS REGIERUNGSPOLITIK

Gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 werden Tausende politische Gegner – vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten – verhaftet, getötet oder vertrieben. Ebenso geraten Sinti und Roma, Homosexuelle und insbesondere Juden in das Visier des Terrors. Im nationalsozialistischen Deutschland wird Antisemitismus erstmals zum Regierungsprogramm eines modernen Staates. Juden werden schrittweise ihrer Rechte beraubt. Den Höhepunkt stellt die antijüdische Gewalt während der sogenannten Reichskristallnacht dar: Am 9./10. November 1938 zerstören Verbände der SA, der SS und deren Sympathisanten über 1.400 Synagogen und verwüsten Tausende Geschäfte. 30.000 jüdische Männer werden verhaftet, um sie zur Auswanderung zu zwingen. Mitte Oktober 1941 beginnen die systematischen Judentransporte aus dem Deutschen Reich in Ghettos und Vernichtungsstätten im Osten.

 

DER WEG IN DEN ZWEITEN WELTKRIEG

Prag, 15. März 1939: Der deutsche Einmarsch löst Bestürzung und Wut bei der einheimischen Bevölkerung aus. Er besiegelt die Zerschlagung der Tschechoslowakei.

Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo, Josef Mucha

DER WEG IN DEN ZWEITEN WELTKRIEG

Hitlers Außenpolitik verfolgt von Anfang an das Ziel, die nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen deutschen Gebiete zurückzuholen und »Lebensraum im Osten« zu erobern. Bereits Anfang 1933 beginnen die Nationalsozialisten mit Kriegsvorbereitungen. 1938 erfolgt der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Nachdem mit dem Münchener Abkommen am 30. September 1938 die Regierungschefs Frankreichs und Großbritanniens der Teilung der Tschechoslowakei zustimmen, wird das Land vom Deutschen Reich zerschlagen. Am 23. August 1939 schließt Nazi-Deutschland einen  Nichtangriffspakt  mit Stalins Sowjetunion. Zusätzlich sprechen beide Staaten ihre Interessensphären in Osteuropa ab. Eine Woche später greift Deutschland Polen an; der Zweite Weltkrieg beginnt. Die Wehrmacht erobert im Frühjahr und Sommer 1940 weite Teile Nord- und Westeuropas, im April 1941 überschreiten deutsche Verbände die jugoslawische und die griechische Grenze.

AUFTAKT ZUM VERNICHTUNGSKRIEG

Ostrów Mazowiecka, 11. November 1939: Angehörige des 4. Polizeibataillons erschießen alle 364 Juden der polnischen Kleinstadt. Es ist die erste Totalliquidierung einer jüdischen Gemeinde während des Zweiten Weltkrieges.

Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu

AUFTAKT ZUM VERNICHTUNGSKRIEG

Unmittelbar nach dem Einmarsch im September 1939 beginnen die deutschen Besatzer einen Krieg gegen die polnische Zivilbevölkerung: Zehntausende, unter ihnen Angehörige der Intelligenz, katholische Würdenträger und Juden, fallen in den ersten Monaten Massenerschießungen von Wehrmacht, SS und Polizei sowie einheimischen Hilfswilligen zum Opfer. Hunderttausende Polen und Juden werden gewaltsam in andere Teile des eroberten Landes vertrieben. Ab Ende 1939 richtet die SS überall auf polnischem Boden Ghettos ein, in denen Juden unter menschenunwürdigen Bedingungen auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Ab Dezember 1941 beginnt ihre Verschleppung in die Todeslager. Bis 1945 sterben fünf Millionen Polen einen gewaltsamen Tod, darunter etwa drei Millionen jüdische Kinder, Frauen und Männer.

PLANMÄSSIGER MASSENMORD

Hadamar (Hessen), 1941: Rauch verbrennender Leichen über der Tötungsanstalt. Zwischen 13. Januar und 24. August 1941 töten Ärzte im Rahmen der Aktion T4 etwa 10.000 Patienten in einer als Duschraum getarnten Gaskammer durch Kohlenmonoxid.

Landeswohlfahrtsverband Hessen, Wilhelm Reusch

PLANMÄSSIGER MASSENMORD

Die »Volksgemeinschaft« ist ein Grundpfeiler der nationalsozialistischen Weltanschauung. Wer nicht zu ihr gehört oder gehören soll, wird verfolgt und getötet. Neben Juden sowie Sinti und Roma sind das vor allem Behinderte und sozial Ausgegrenzte. Nach Kriegsbeginn 1939 läuft im Deutschen Reich das erste systematische Mordprogramm an – die Aktion T4, benannt nach dem Sitz der Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bis August 1941 ermorden Ärzte über 70.000 kranke und behinderte Menschen in Gaskammern. Nach dem offiziellen Abbruch aufgrund öffentlicher Unruhe wird das Tötungspersonal nach Polen versetzt und organisiert 1942/43 die Aktion Reinhardt, die Ermordung von über 1,6 Millionen Juden in Vernichtungslagern. Die Gesamtzahl der Opfer des sogenannten Euthanasie-Programms liegt für Europa bei etwa 300.000.

VERNICHTUNGSKRIEG GEGEN DIE SOWJETUNION

Deutschlands­ ­Krieg gegen die ­Sowjetunio­n – Unternehmen­ Barbaro­ssa

22. Juni 1941: Deutsche Wehrmacht beim Einmarsch in die Sowjetunion.

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Bild-Nr.: 30018917, Herbert Hoffmann

Bereits 1933 erklärt Adolf Hitler einen rassistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zum Hauptziel seiner künftigen Außenpolitik. Seine Weltanschauung ist von fanatischem Judenhass und Antikommunismus geprägt. Die Sowjetunion gilt ihm als Inbegriff des »jüdischen Bolschewismus«, der ausgelöscht werden soll. Die Vorbereitungen für einen Angriff auf die Sowjetunion laufen ab Ende 1940 auf Hochtouren: Nach der Eroberung des europäischen Teils der UdSSR sollen die Führungskräfte ermordet, die einheimische Bevölkerung versklavt, massenhaft vertrieben oder millionenfach dem Hungertod preisgegeben werden.

In den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 überschreitet die Wehrmacht die Grenze zur Sowjetunion – von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Der kämpfenden Truppe folgen Einsatzgruppen der SS und weitere Spezialeinheiten, die zunächst männliche Juden und Politfunktionäre ermorden, bald auch jüdische Frauen und Kinder, sogenannte Zigeuner und Patienten. Bis Ende 1941 fallen auf besetztem sowjetischem Gebiet eine halbe Million Juden Massenerschießungen zum Opfer. Allein bis Frühjahr 1942 kommen auch rund zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene durch Hunger, Vernachlässigung oder Mord um – viele auf belarussischem Boden.

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Die deutsche Offensive gegen die Sowjetunion beginnt mit großen Gebietsgewinnen für die Wehrmacht. Ab Herbst gerät der Feldzug ins Stocken und kommt im Dezember vor Moskau zum Stehen.

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Brest, Juni 1941: Frauen und Kinder in deutscher Gefangenschaft. Brest ist die erste Großstadt, die am 22. Juni 1941 angegriffen wird. Teile der Festung Brest werden noch wochenlang gehalten. Zivilisten geraten dabei zwischen die Fronten.

Österreichisches Staatsarchiv, Wien, Nachlass Wechtler

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Massenerschießung jüdischer Kinder, Frauen und Männer am 14. September 1941 im moldauischen Dubossary durch das SS-Einsatzkommando 12 b und rumänische Gendarmen. Dubossary ist einer von Hunderten Orten nationalsozialistischen Mordens in der besetzten Sowjetunion.

Imperial War Museum, London

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Karte zum Bericht der Einsatzgruppe A mit den Zahlen der zwischen Juli 1941 und Ende Januar 1942 erschossenen Juden in Belarus, Litauen, Lettland, Estland und Russland.

Latvijas Nacionālais arhīvs, Rīga

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Lager für sowjetische Kriegsgefangene im belarussischen Glubokoje, Herbst 1941: Tausende Menschen hausen unter freiem Himmel und erhalten fast keine Nahrung.

HIS Archiv, QUE 278,04

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Leningrad (Sankt-Petersburg), Januar 1942: Bewohner schöpfen Wasser aus der zugefrorenen Newa. Während der fast 900tägigen deutschen Hungerblockade der Stadt kommen zwischen 800.000 und einer Million Menschen um.

Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Nikolaj Chandogin

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Zeichnung »Das Großdeutschland in der Zukunft«, 1943. Sie veranschaulicht die rassistischen Vorstellungen des Generalplans Ost: Der europäische Teil der Sowjetunion (»Vorfeld«) wird unterworfen, langfristig sollen Millionen Slawen getötet, vertrieben oder dem Hungertod preisgegeben werden. Im Falle von Belarus ist von der Vertreibung oder Vernichtung von bis zu 75 % der Bevölkerung die Rede, etwa 25 % sind für die Germanisierung vorgesehen. Der Osten soll deutsch besiedelt werden und Deutschland (»Reichsraum«) mit Produkten aus Industrie und Landwirtschaft versorgen.

Deutsches Historisches Museum, Berlin, S. Ahlers

» Politische Kommissare   […] sind aus den Kriegsgefangenen sofort, d. h. noch auf dem Gefechtsfelde, abzusondern. […] Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für die Kriegsgefangenen völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.«

Der sogenannte Kommissarbefehl Adolf Hitlers vom 6. Juni 1941, der an die Kommandeure nur mündlich weitergegeben werden darf.

»Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.«

»Führererlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ›Barbarossa‹ und über besondere Maßnahmen der Truppe« vom 13. Mai 1941, BArch MA, RW 4/v. 577, Bl. 72–74

»1.) Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird.

2.) Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.«

Protokoll der Besprechung verschiedener Staatssekretäre mit Wehrmachtsvertretern, 2. Mai 1941

Besatzungspolitik in Belarus

Minsk, 10. Juli 1941: Gebäude des Obersten Sowjets in den ersten Tagen der Besatzung

Deutsch-Russisches Museum Karlshorst, Albert Dieckmann

Vom 24. bis zum 26. Juni 1941 richten deutsche Kampflieger schwere Zerstörungen in Minsk an. Zwei Tage später besetzt die Wehrmacht die Stadt. Die deutsche Militärverwaltung zwingt Männer ab 15 Jahren, sich registrieren zu lassen, und hält sie im Lager Drosdy tagelang ohne Versorgung fest. Juden werden von den übrigen Gefangenen getrennt, viele ermordet. Kriegsgefangene inhaftiert die Wehrmacht unter anderem im Stalag 352.

Am 1. September 1941 wird Minsk zum Sitz des neu geschaffenen Generalkommissariats Weißruthenien. Zivilverwaltung und Polizei übernehmen die Kontrolle. Die Bevölkerung muss Zwangsarbeit leisten, Zehntausende Männer und Frauen werden als Ostarbeiter ins Deutsche Reich verschleppt. Die Deutschen beuten auch die einheimische Landwirtschaft aus: Während jedes zweite belarussische Kind an Hunger stirbt, füttert die Wehrmacht ihre Pferde mit Roggen und Weizen. Der Widerstand der Partisanen nimmt immer mehr zu. Als Vergeltung löschen die Besatzer ganze Dörfer aus, vor allem 1943/44.

Während der Besatzungszeit werden nach belarussischen Angaben 1.547.000 Zivilisten und 810.000 Kriegsgefangene getötet.

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Am 15. August 1941 besucht Reichsführer-SS Heinrich Himmler ein Kriegsgefangenenlager bei Minsk. Die Deutschen brechen bewusst geltendes Völkerrecht, sie lassen die Soldaten verhungern und im Winter erfrieren. Kommissare, politische Funktionäre und Juden ermorden sie gezielt.

Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv, Heinrich Hoffmann

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Minsk, 1942: Hinrichtung von Partisanen.

Bundesarchiv, Bild 146-1976-127-10A

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Gebiet Pinsk, 1943: Dorfbewohner versorgen Partisanen mit Brot.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk, Michail Trachman

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Heereskarte, im Herbst 1943 angefertigt für den Generalstab der Wehrmacht über die Partisanenaktivität in den besetzten Gebieten

United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C., Sig. RG-30.004_0007

Belarus ist der wichtigste Schauplatz des sowjetischen Partisanenkrieges. Den Deutschen gelingt es nicht, das Gebiet vollständig unter Kontrolle zu bringen. Sie gehen mit äußerster Härte gegen die Partisanen und ihre Unterstützer vor. Zudem werden Tausende unbeteiligte Zivilisten in sogenannten Strafmaßnahmen ermordet.

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Der Widerstand gegen die Besatzer wird 1942/43 immer stärker. Bis zu seiner Verhaftung und Hinrichtung organisiert der Kommunist Michail Gebelew (1905–1942) den Widerstand im Minsker Ghetto. Mithilfe der Gruppe können einige Juden zu den Partisanen fliehen.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Am 22. September 1943 gelingt es der Widerstandskämpferin Jelena Mazanik (1914–1996), den Generalkommissar für Weißruthenien Wilhelm Kube durch eine Bombe zu töten. Ihr wird später der Titel »Heldin der Sowjetunion« verliehen.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Minsk, um 1942: Frauen in einer überbelegten Zelle des Zentralgefängnisses in der Wolodarskogo-Straße. Die deutschen Besatzer überziehen die Stadt mit einem Netz von Haftanstalten und Lagern. Mordaktionen und Folter sind an der Tagesordnung. Viele der Opfer sind willkürlich festgenommene Zivilisten.

Landesarchiv Baden-Württemberg/Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, LKA-Ermittlungsakten StAL EL 48/2 I Bü 322; Bild Nr. 11

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Während der Besatzung und vor allem bei ihrem Rückzug im Sommer 1944 setzen deutsche Truppen Häuser in mehr als 9.000 Siedlungen in Brand. 628 Dörfer werden samt ihren Einwohnern durch Feuer ausgelöscht.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Ghetto Minsk

Am 19. Juli 1941 erhalten Juden im Gebiet Minsk den Befehl, in ein Ghetto zu ziehen. Bis zu 80.000 Menschen leben nun zusammengepfercht auf zwei Quadratkilometern. Die Besatzer setzen einen Judenrat zur Verwaltung ein. Es gibt weder Strom, Trinkwasser noch ausreichend Lebensmittel oder medizinische Versorgung. Krankheiten breiten sich aus. Die Toten werden in Massengräbern verscharrt.

Im November und Dezember 1941 werden etwa 7.000 Juden aus dem Deutschen Reich und dem Protektorat Böhmen und Mähren nach Minsk verschleppt. Die Sicherheitspolizei räumt zuvor Teile des Ghettos und erschießt Tausende einheimische Juden. Die Reichsjuden kommen in den frei gewordenen Häusern unter. Dieses Sonderghetto wird abgeriegelt, der Kontakt zu belarussischen Juden ist verboten.

Bis Ende 1941 ermorden die Deutschen etwa 30.000 Juden in Minsk. Allein am 2. März 1942 erschießen sie bis zu 5.000 Ghettobewohner. 1946 entsteht in Erinnerung an diese Aktion das Holocaustdenkmal »Jama« (deutsch: »Grube«). Bis zur Auflösung des Ghettos im Oktober 1943 führen Sondereinheiten immer wieder umfangreiche Mordaktionen durch.

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  1. “Jama”
  2. Jüdischer Friedhof
  3. Gefängnis in der Wolodarskogo-Straße
  4. Sonderghetto
  5. Oper
  6. Hauptbahnhof
  7. Güterbahnhof
  8. Stalag 352 (Masyukovschtschina)
  9. Lager Schirokaja-Straße
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Das Ghetto ist mit Stacheldraht von der übrigen Stadt abgetrennt, es gibt zwei Eingänge an der Respublikanskaja- und in der Opanskogo-Straße.

Kurt-Wafner-Album, Nachlass Wafner

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November 1941: In Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Berlin, Brünn und Bremen zwingen die Behörden Juden, sich an Sammelstellen einzufinden. In Zügen der Deutschen Reichsbahn werden jeweils um die 1.000 Personen in Transporten nach Minsk verschleppt. Neben Städten wie Lodz, Riga und Kaunas ist Minsk einer der wichtigsten Zielorte im Osten.

Linksbündig

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Minsk, Februar 1942: Juden räumen Schnee am Bahnhof. Juden müssen unter anderem im Straßenbau oder in Fabriken arbeiten. Auch Konzerne wie Daimler-Benz haben Werkhallen in Minsk.

Bundesarchiv, Bild 183-B07892, Herbert Donath

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Die deutschen Behörden plündern Juden systematisch aus und lagern ihre Habseligkeiten in der Minsker Oper. Jüdische Zwangsarbeiter müssen die beschlagnahmten Kleider, Geld, Wertgegenstände und Möbel sortieren. Die Besatzer handeln mit den gestohlenen Gegenständen auf dem Schwarzmarkt.

Kurt-Wafner-Album, Nachlass Wafner

»Vater wurde abgeholt, und wir mussten ins Ghetto ziehen, nun lebten wir hinter Stacheldraht. Unser Haus stand an der Straße, jeden Tag flogen Knüppel in unseren Hof. Ich sah einen Faschisten an unserer Gartenpforte, als eine Gruppe zur Erschießung geführt wurde, er schlug die Menschen mit Knüppeln.«

Genja Sawolner

MALYJ TROSTENEZ

Die Außerordentliche Kommission und die Topographie der Vernichtungsstätte

Die Außerordentliche Kommission findet insgesamt 34 Massengräber in Blagowschtschina. Die Gräber sind mit Sand und Gestrüpp bedeckt. Auf dem Boden liegen unzählige persönliche Gegenstände wie Kämme, Töpfe, Geldbörsen und Fotografien.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Die Kenntnisse über Malyj Trostenez stützen sich zum großen Teil auf die Berichte der sowjetischen Sonderkommission zur Untersuchung von NS-Verbrechen. Diese trifft am 14. Juli 1944 in Malyj Trostenez ein, ungefähr zwei Wochen nach der Rückeroberung durch die Rote Armee. In den ausgebrannten Ruinen einer Scheune am Rande der ehemaligen Sowjetkolchose »Karl Marx« untersuchen die Mitglieder die verkohlten Leichen hunderter Kinder, Frauen und Männer.

Nach der Befragung von Anwohnern entdecken sie im wenige Kilometer entfernten Waldstück Blagowschtschina 34 Massengräber voller menschlicher Überreste und Asche. Außerdem finden sie noch einen weiteren Vernichtungsort in Schaschkowka, wo die Leichen Tausender Opfer verbrannt wurden. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass Trostenez die größte nationalsozialistische Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der Sowjetunion war.

Map 1
  1. Ankunft der Züge
  2. Sammelplatz für die Deportierten
  3. Lagertor
  4. Wachturm
  5. Barracken
  6. Schaschkowka
  7. Blagowschtschina
  8. Scheune

Die Vernichtungsstätte Malyj Trostenez besteht aus drei Teilen: dem Zwangsarbeiterlager auf dem Gelände eines ehemaligen Agrarbetriebs, dem Ort von Massenerschießungen in Blagowschtschina sowie einer Anlage im Waldstück Schaschkowka zur massenhaften Verbrennung von Leichen. Der Komplex wird durch den Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) Minsk betrieben. Diese Dienststelle untersteht dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin.

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Malyj Trostenez, Juli 1944: Mitglieder der Außerordentlichen Kommission untersuchen eine Leiche auf dem Gelände der Vernichtungsstätte.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Erste Seite des ersten Berichts der Außerordentlichen Kommission vom 14. Juli 1944 über »die Begehung von Orten deutscher Gräueltaten in der Umgebung von Malyj Trostenez«.

Gosudarstwennyj archiw Minskoj oblasti, Minsk

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Malyj Trostenez: Mitglieder der Außerordentlichen Kommission befragen Dorfbewohner

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Die Außerordentliche Kommission

Die »Außerordentliche Staatliche Kommission für die Feststellung und Untersuchung der Gräueltaten der deutsch-faschistischen Eindringlinge und ihrer Komplizen und des Schadens, den sie den Bürgern, Kolchosen, öffentlichen Organisationen, staatlichen Betrieben und Einrichtungen der UdSSR zugefügt haben« (TschGK: Tschrezwytschajnaja gosudarstwennaja komissija) wird bereits am 2. November 1942 gegründet und untersucht Kriegsverbrechen, sammelt Dokumente, befragt die Bevölkerung. Ihre insgesamt 27 Berichte bilden die Grundlage für die Anklage der Sowjetunion beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46.

In Malyj Trostenez nimmt die Kommission am 14. Juli 1944 ihre Arbeit auf. Sie wird von Generalmajor Wasilij Kozlow geleitet und unter anderem von zwei Experten der Gerichtsmedizin (I. M. Stelmaschonok, L. E. Taranowitsch), einem Sekretär (G. N. Maschkow), einem Topografen (M. F. Wolodjko), zwei belarussischen Schriftstellern (M. Lynkow, K. Krapiwa) sowie von Bewohnern des Dorfes Malyj Trostenez begleitet.

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  • 1 Wassermühle
  • 2 Damm
  • 3 Teich
  • 4 Chaussee Minsk (links) – Mogilew (rechts)
  • 5 Abzweigung zum Dorf Malyj Trostenez
  • 6 Standort des Hauses des Lagerkommandanten
  • 7 Standort des Getreidesilos
  • 8 Standort der Räume, in denen sich die Häftlinge befanden. Hier befand sich auch der Kommandoposten.
  • 9 Standort von Scheunen, die als landwirtschaftliche Gebäude genutzt wurden
  • 10 Standort der Scheune, in der sich die Besitztümer befanden, die den Verhafteten abgenommen wurden
  • 11 Standort der Gewächshäuser
  • 12 Standort der Räume des früheren Wachpersonals
  • 13 Standort der Scheune mit landwirtschaftlichen Geräten
  • 14 Standort einer Baustelle für weitere Wohnräume
  • 15 Standort des ehemaligen befestigten Bunkers des Kommandos
  • 16 Standort der Scheunen, in der die Gefangenen 1943 gehalten wurden
  • 17 Standort des »deutschen« Friedhofs
  • 18 Richtung zum Erschießungsort

Zwangsarbeitslager in Malyj Trostenez

Anblick des landwirtschaftlichen Gutes Malyj Trostenez. Das Foto stammt von einem Angehörigen der Volksdeutschen Kompanie, die für die Bewachung des Lagers eingesetzt wird.

Staatsarchiv Hamburg, Best. 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht – Nationalsozialistische Gewaltverbrechen Nr. 597 Band 66

Im Frühjahr 1942, als im nahe gelegenen Waldstück Blagowschtschina die Massenerschießungen beginnen, übernehmen die Deutschen die ehemalige sowjetische Kolchose »Karl Marx« in Malyj Trostenez und richten dort ein Haftlager ein. Es versorgt die Besatzer im Raum Minsk mit Lebensmitteln, Werkzeugen und anderen Gütern, gleichzeitig unterstützt es den Massenmord: Zwangsarbeiter müssen die Gaswagen reinigen und das Hab und Gut der Ermordeten sortieren. Bewacht wird das Lager zunächst von lettischen Freiwilligen, später auch von Volksdeutschen, Ukrainern und Belarussen. Die 200 bis 900 Häftlinge – vor allem Juden – sind Facharbeiter, Handwerker und Landwirte. Sie müssen täglich bis zu 15 Stunden Zwangsarbeit leisten, willkürliche Strafen bis hin zu Mord gehören zum Alltag.

Kurz vor Ankunft der Roten Armee im Sommer 1944 werden die letzten über 100 Häftlinge des Lagers – mit über 6.000 anderen Opfern – in einer Scheune ermordet.

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Im Lager Malyj Trostenez werden Agenten für das Ausspionieren von Partisanengruppen ausgebildet sowie SS-Einheiten stationiert. Vermutlich aus diesem Grund wird das Lager mehrfach von Partisanen angegriffen. Deshalb wird das Dorf Malyj Trostenez im Januar 1944 zum Wehrdorf  erklärt.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Blick auf die Umzäunung des Lagers, wie sie die Außerordentliche Kommission im Juli 1944 vorfindet

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

»Derjenige, der arbeitsfähig war und irgendein Handwerker, hatte eine größere Chance länger zu leben, als der Alte, Gebrechliche. Ununterbrochen arbeiten war das Beste. Die kleinste Pause und schon wurde man auf die Liste gesetzt und spätestens am nächsten Tag erschossen.«

Isak Grünberg wird 1942 aus Wien nach Minsk deportiert und überlebt das Lager

»Es würde zu weit führen, wenn ich berichten würde, was wir dort durchgemacht haben. Ich will nur kurz bemerken, dass täglich Menschen gebracht und geholt, täglich einige Erschießungen vorgenommen wurden, ganz willkürlich, und immer musste man fürchten, selbst dranzukommen. Man kann sagen, stündlich hatten wir den Tod vor Augen.«

Julie Sebek wird am 6. Mai 1942 aus Wien nach Minsk deportiert, kurz vor der Auflösung des Lagers im Juni 1944 gelingt ihr die Flucht

FJODOR SCHUWAJEW
1921–1989

Fjodor Schuwajew im Jahr 1960. Das Bild entsteht anlässlich eines Zeitzeugengesprächs im Museum des Großen Vaterländischen Krieges Minsk.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Fjodor Schuwajew stammt aus dem Gebiet Archangelsk im Norden Russlands. Seit 1940 dient er als Soldat in der Roten Armee, beim Angriff der deutschen Wehrmacht ist er in Belarus stationiert. Im Dezember 1941 wird Schuwajew in der Nähe von Minsk festgenommen und im Gefängnis in der Wolodarskogo-Straße inhaftiert.

Ende April 1942 wird Schuwajew mit etwa 20 anderen Häftlingen nach Malyj Trostenez gebracht, wo er als Zwangsarbeiter das Lager mit aufbauen muss. Wenig später wird er Zeuge der Massenmorde in Blagowschtschina: Er muss Kleidungsstücke der dort ermordeten Juden ausbessern und wiederholt Gaswagen reinigen. Im Herbst 1943 gelingt ihm die Flucht. In dieser Zeit lernt er im Dorf Schabany Elena Schtscherbatsch kennen, seine spätere Frau. Er schließt sich den Partisanen an. Ab Oktober 1944 dient er wieder in der Roten Armee.

Nach dem Ende des Krieges bleibt er in Minsk und arbeitet in einem Automobilwerk. Schuwajew, mittlerweile Vater zweier Töchter, wird zu einem der bekanntesten Überlebenden von Malyj Trostenez und tritt bei Zeitzeugengesprächen auf. Er stirbt 1989 im Alter von 68 Jahren in Minsk.

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Lebenslauf, den Schuwajew bei seiner Anstellung im Automobilwerk 1948 niederschreibt. Seine Zeit als Lagerhäftling erwähnt er nur indirekt: »Von 1941 bis 1943 befand ich mich im besetzten Gebiet Minsk, wohnte in der Gemeinde Trostenez und war Landarbeiter im Dorf Schabany.«

Archiv Minskij Awtomobilnyj Sawod

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Minsk, Mitte der 1960er Jahre: Fjodor Schuwajew mit seiner Frau Elena (links) und den beiden Töchtern Elena und Tamara.

Privatbesitz Familie Schuwajew

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Fjodor Schuwajew 1975 bei einem Zeitzeugengespräch mit Schülern in Bolschoj Trostenez.

Trostenezkaja Srednaja Schkola

»Diese Wagen kamen ins Lager zurück und wir Häftlinge wurden aufgefordert, sie zu säubern. [...] Mittig im Wagenkasten fielen mir vergitterte Löcher auf, durch die wohl Abgase einströmten. [...] Die Wagen waren oft blutverschmiert, auf dem Boden lagen Haarbüschel, Klamottenfetzen und Zahnprothesen.«

Über die Reinigung der Gaswagen

»Am 9. Mai, dem Feiertag, nahm er mich mit zum Denkmal. Dort gab es noch ein kleines Grab. Er zeigte mir, wo früher das Lager war [...] Das fiel ihm sehr schwer. [...] Er war oft zu Gesprächen in Schulen, auch in Bolschoj Trostenez. [...] Außer an Feiertagen sprachen wir nie über dieses Thema.«

Schuwajews Tochter Elena im Jahr 2015

Hanuš Münz
1910–2010

Hanuš Münz im Sommer 1944 bei einer Parade in Minsk. Nach seiner Flucht aus Malyj Trostenez schließt er sich der belarussischen Partisanenbrigade »Schturmowaja« an und nimmt an zahlreichen Sabotageaktionen teil.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Hanuš (Hans) Münz kommt 1910 als Sohn einer tschechisch-jüdischen Familie in Prag zur Welt. 1938/39, bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei, plant Münz die Flucht nach Norwegen. Im Herbst 1941 wird er ins Ghetto Theresienstadt verschleppt und muss Zwangsarbeit leisten.

Ein Jahr später, am 25. August 1942, werden 1.000 Juden aus Theresienstadt nach Malyj Trostenez deportiert, so auch Hanuš Münz. Die Fahrt dauert drei Tage. Nach der Ankunft werden fast alle in Gaswagen ermordet oder im Wald von Blagowschtschina erschossen, lediglich 22 Häftlinge werden zur Zwangsarbeit im Lager Malyj Trostenez ausgewählt. Unter ihnen ist auch Münz, der sich als Schlosser ausgibt und fortan in einer Minsker Werkstatt arbeitet.

1943 gelingt Münz die Flucht. Er schlägt sich zu den Partisanen durch und kämpft bis Juli 1944 in ihren Reihen. Anschließend dient er bis Kriegsende in der Roten Armee. 1945 kehrt er in die Tschechoslowakei zurück, wo er später heiratet und eine Zahnarztpraxis eröffnet. Hanuš Münz stirbt kurz vor seinem 100. Geburtstag im Jahr 2010.

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Hanuš Münz (1910–2010), Miloš Kapelusz (1920–1942), Max Töpfer (1912–1942) und Leo Kraus (1921–1944). Die vier Männer sind Zwangsarbeiter in einem Bergwerk in Kladno und werden später gemeinsam aus Theresienstadt nach Malyj Trostenez deportiert. Kraus und Münz kommen als Zwangsarbeiter ins Lager, Kapelusz und Töpfer werden sofort bei der Ankunft in einem Gaswagen ermordet. Als Münz einen Deutschen fragt, wohin seine Freunde gebracht wurden, bekommt er zur Antwort: »Ah, die sind schon erledigt, die sind schon im Himmel.«

Národní archiv Praha, Hanuš Münz, 13.4. 1910, PŘ 1941-1950, M 2953/8; Miloš Kapelusz, 1.3. 1920, PŘ 1941-1950, K 736/4; Max Töpfer, 15.6. 1912, PŘ 1931-1940, T 342/29; Leo Kraus, 9. 10. 1921, PŘ 1931-1940, K 4302/21

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Ende 1940 versucht Hanuš Münz, aus dem besetzten Prag nach Schanghai auszuwandern. Doch in Europa herrscht Krieg, die Flucht misslingt. Nur wenige Monate später wird Münz nach Theresienstadt verschleppt.

Národní archiv Praha, Policejní ředitelství Praha – všeobecná spisovna, 1941-50, sign. H 2481/1, kart. 3294

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Deportationsliste des Zuges Bc 25 vom 25. August 1942. Von den 1.000 tschechischen Juden werden 978 sofort bei der Ankunft in Malyj Trostenez ermordet.

Národní archiv Praha, Okupační vězeňské spisy, sign. Transporty, Transport Ak Praha – Terezín, 24.11.1941.

»Da fuhr der Zug los. Ich weiß nicht, wie lange wir fuhren. Es war an der polnisch-sowjetischen Grenze, da blieb der Zug stehen, und sie haben uns aus den Personenwagen herausgejagt, und wir mussten in Güterwagen hinein. […] Da waren 70 oder 80 Menschen in einem Güterwagen. Wir mussten stehen. Ohne Wasser, ohne Essen. Die alten Leute haben am schlimmsten gelitten. Aber am schlimmsten war: Da gab es keine Toiletten. Das war das Allerschlimmste.«

Hanuš Münz über die Deportation aus Theresienstadt nach Malyj Trostenez

»Für die ankommenden Transporte war da eine improvisierte Bahnstation errichtet. [Dass ein neuer Transport ankam] haben wir erst gemerkt, als wieder Lastwagen voll mit Koffern bei der Scheune ankamen und wir […] den Inhalt sortieren mussten. […] neben uns im Hof war eine besondere Reparaturwerkstatt für die Gaswagen. Und wenn die Gaswagen wieder hergerichtet wurden, dann wusste ich: Es wird ein neuer Transport ankommen.«

Münz über die Zeit im Lager Malyj Trostenez Interview von Dieter Corbach, 1992

Der Vernichtungsort Blagowschtschina und die Aktion 1005

Der 46-jährige Richard Hirsch aus Prag wird zusammen mit 1.000 anderen Juden am 25. August 1942 aus dem Ghetto Theresienstadt nach Malyj Trostenez deportiert. Drei Tage später wird er bei der Ankunft in Blagowschtschina ermordet. Im Sommer 1944 findet die Außerordentliche Kommission Richard Hirschs Koffer auf dem Gelände.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Am 11. Mai 1942 lassen die Deutschen erstmals die Insassen eines Transports aus dem Reich, 1.000 Juden aus Wien, direkt in das Waldstück Blagowschtschina – drei Kilometer nordöstlich des Dorfes Malyj Trostenez – bringen. Sie werden in einer etwa 50 Meter langen und drei Meter breiten Grube erschossen, ihre Kleidung und ihr Gepäck im Lager Trostenez sortiert.

Bis Oktober 1942 folgen 15 weitere Transporte mit jeweils etwa 1.000 Personen. Nur wenige überleben zunächst, weil sie zur Zwangsarbeit ausgewählt werden.

Vor allem Ende Juli 1942 und bei der Auflösung des Ghettos im Herbst 1943 werden immer wieder Juden aus dem Ghetto und den Haftanstalten in Minsk nach Blagowschtschina gebracht und ermordet. Zudem töten die Deutschen und ihre lettischen und ukrainischen Helfer Partisanen und Widerstandskämpfer, aber auch unbeteiligte Zivilisten, um Angst unter der Bevölkerung zu schüren. Die Außerordentliche Kommission schätzt die Zahl der in Blagowschtschina Ermordeten im Sommer 1944 auf 150.000.

Die Namen der meisten Opfer können heute nicht mehr ermittelt werden. Während für die Deportationen aus dem Westen meist Listen erstellt werden, morden deutsche Einheiten in den besetzten sowjetischen Gebieten, ohne ihre Verbrechen zu dokumentieren. Um keine Beweise zu hinterlassen, vernichten die Täter bei ihrem Abzug aus Minsk die meisten belastenden Dokumente.

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Richard Hirsch

Národní archiv Praha, fond Policejní ředitelství Praha II., 1941-1950, H- Hirsch

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Von Mitte Mai bis Anfang Oktober 1942 kommen Transporte aus dem Deutschen Reich in Malyj Trostenez an

Linksbündig

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Seite aus einem Werbeprospekt der Firma Gaubschat in Berlin-Neukölln. Im Auftrag des RSHA fertigt sie Karosserien für Gaswagen an.

Stiftung Deutsches Technikmuseum, Historisches Archiv, Berlin

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Das Gemälde von Ibrahim Gembizkij (1900–1974) aus dem Jahr 1944 zeigt den Mord an Zivilisten im Gaswagen. In und um Minsk setzen die Deutschen bis zu sechs Gaswagen ein. Während der Fahrt ersticken die Opfer. Ihre Leichen werden in Blagowschtschina verscharrt, ihre Kleidung im Lager Malyj Trostenez sortiert.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk, Ibrahim Gembizkij

Aktion 1005

Nach dem Sieg der Roten Armee bei Stalingrad Anfang 1943 beginnen die Besatzer, ihre Spuren an den zentralen Orten der Massenmorde zu verwischen. Für diesen Zweck ist zwischen Ende Oktober und Mitte Dezember 1943 das Sonderkommando 1005-Mitte im Lager Malyj Trostenez stationiert. Gefangene aus Minsker Haftanstalten werden gezwungen, die Massengräber in Blagowschtschina zu öffnen. Sie müssen die verwesenden Leichen mit Eisenhaken herausziehen, sie stapeln und verbrennen. Die menschliche Asche wird gesiebt, um Zahngold und Schmuck zu finden. Nach Ende der Aktion 1005 werden die Zwangsarbeiter ermordet.

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  1. Weggabelung. Weg zur Erschießungsstätte
  2. Erschießungsstätte
  3. Haltestelle der LKW mit den Häftlingen
  4. Position der Wächter
  5. Ort, an dem sich Saukitens am Vormittag am Posten befand

»Die Enterdung führten schließlich russische Gefangene aus, die aus dem Minsker SS-Arbeitslager geholt wurden. […] Meine Aufgabe bestand darin, mit einem Teil der Russen die Gräber zu öffnen, die Leichen herauszuschaffen, die Scheiterhaufen anzulegen, die Leichen darauf zu schichten und sie zu verbrennen. […] Die russischen Gefangenen, die die Enterdung durchführten, wurden in Abständen ermordet, um keine Augenzeugen der Aktion am Leben zu lassen.«

Adolf Rübe, Leiter der Arbeitskommandos des Sonderkommandos 1005-Mitte in Blagowschtschina. Zentrale Stelle Ludwigsburg: ZSt 202 AR-Z 22/60 (Goldapp), Bd. 1, Bl. 50f. In: Paul Kohl: Der Vernichtungslager Trostenez. Augenzeugenberichte und Dokumente, Dortmund 2003, S. 77.

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»Der Angeklagte SAUKITENS zeigt den Ort, an dem Bürger jüdischer Nationalität erschossen und begraben wurden.«

1962 ermitteln sowjetische Behörden gegen Albert Saukitens, ehemals Mitglied einer Einheit von lettischen Kollaborateuren, die bei Massenerschießungen in Blagowschtschina zum Einsatz kam. Die Bilder entstehen bei einer Ortsbegehung mit dem Angeklagten.

Latvijas Nacionālais arhīvs, Rīga

«Ende des Jahres 1943 […] fingen die Henker an, die Leichen der von ihnen ermordeten Menschen zu verbrennen, um die Spuren ihrer Verbrechen im Wald von Blagowschtschina zu verwischen. Ungefähr zwei Monate lang verbreitete sich der stickige Geruch der Leichen aus dem Waldstück und man konnte dicken schwarzen Rauch aufsteigen sehen. Ich sah, dass die Henker in deutscher Militäruniform mit Schädel und gekreuzten Knochen an Mützen in dieser Zeit jeweils 30–40 Personen Männer in Zivil mit Lastwagen nach Blagowschtschina brachten. Diese Wagen kamen aus der Richtung Minsk. Die Wagen fuhren dann leer Richtung Minsk zurück. An jedem Abend ertönten Schüsse aus dem Waldstück.«

Straßenmeister S. Romanowez, 1942-1943 zuständig für den Abschnitt der Chaussee Minsk–Mogilew KGB-Archiv, Akte 26571, Bd. 19, Bl. 96.

Zyra Goldina
1902–1942

Von Zyra Goldina oder ihrer Familie sind keine Bilder überliefert.

Zyra Goldina (geb. Milenkaja) und ihr Mann Efim Goldin (1906–1974) arbeiten vor dem Krieg in der Minsker Textilfabrik »Oktober«. Das Paar hat drei Kinder: Rahil (geb. 1928), Lazar (1931–1982) und Aron (1936–1942). Die Familie hat jüdische Wurzeln, lebt aber nicht religiös. Zu Hause wird Russisch gesprochen. Bei Kriegsausbruch wird Efim mit anderen Fabrikarbeitern ins Innere der Sowjetunion evakuiert, Zyra bleibt mit den Kindern zurück. Im Juli müssen sie ins Ghetto umziehen und leben fortan im Haus ihrer Schwester Ida auf engstem Raum zusammen. Die beiden älteren Kinder Rahil und Lazar müssen auf einem Güterbahnhof Zwangsarbeit leisten; immerhin können sie dabei Kleidung gegen Essen tauschen und so die Familie ernähren.

Am 28. Juli 1942 holen die SS und Helfer rund 10.000 Menschen im Ghetto aus ihren Häusern: 6.500 einheimische sowie 3.500 deutsche Juden aus dem Sonderghetto 2 – vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen. Sie werden in Lastwagen nach Blagowschtschina gebracht, erschossen oder in Gaswagen ermordet und verscharrt. Die Aktion dauert drei Tage. Unter den Opfern befinden sich auch Zyra Goldina, ihr fünfjähriger Sohn Aron sowie Zyras Schwester Ida.

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Vor dem Krieg lebt die Familie in einem Haus mit einem großen Hof unter der Adresse Revolutionsstraße 24. Auch von diesem Haus existieren keine Fotos mehr.

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Minsk, die ehemalige Choralsynagoge im Jahr 1932. Nach der Oktoberrevolution 1917 wird die Ausübung von Religionen – auch der jüdischen – stark eingeschränkt. Die Synagoge wird zunächst vom Jüdischen Staatstheater und später als Kino genutzt.

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk

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Die Tochter von Zyra Goldina, Rahil Perelman, 1946 und 1997. Sie lebt in New York. Ihre in Moskau lebende Tochter Tatjana Zukerman (geb. 1949) erzählt:

»Meine Mutter Rahil und ihr Bruder Lazar verließen jeden Tag das Ghetto, um zur Arbeit an der Bahnstation zu gehen. An einem Tag im Juli 1942 wurden sie auf der Arbeit festgehalten und durften nicht nach Hause gehen. […] Es gab sofort Gerüchte über einen Pogrom im Ghetto. Als sie ins Ghetto zurückkamen, war dort niemand mehr. Es war der größte Pogrom im Jahre 1942. Ihnen wurde gesagt, dass ihre Mutter und der Bruder Aron umgekommen sind, dass man sie nach Trostenez gebracht hatte. […] Meine Mutter und Lazar haben später versucht, sich den Partisanen anzuschließen, wurden auf dem Weg aber verhaftet und ins Minsker Gefängnis gebracht. Später wurde meine Mutter nach Auschwitz gebracht.«

Shoah Foundation, Los Angeles

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Die Tochter von Zyra Goldina, Rahil Perelman, 1946 und 1997. Sie lebt in New York. Ihre in Moskau lebende Tochter Tatjana Zukerman (geb. 1949) erzählt:

»Meine Mutter Rahil und ihr Bruder Lazar verließen jeden Tag das Ghetto, um zur Arbeit an der Bahnstation zu gehen. An einem Tag im Juli 1942 wurden sie auf der Arbeit festgehalten und durften nicht nach Hause gehen. […] Es gab sofort Gerüchte über einen Pogrom im Ghetto. Als sie ins Ghetto zurückkamen, war dort niemand mehr. Es war der größte Pogrom im Jahre 1942. Ihnen wurde gesagt, dass ihre Mutter und der Bruder Aron umgekommen sind, dass man sie nach Trostenez gebracht hatte. […] Meine Mutter und Lazar haben später versucht, sich den Partisanen anzuschließen, wurden auf dem Weg aber verhaftet und ins Minsker Gefängnis gebracht. Später wurde meine Mutter nach Auschwitz gebracht.«

Privatarchiv Familie Perelman

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Tatjana Zukerman (links) mit ihrer in Israel lebenden Cousine Shalhevet Sara Ziv. Ihre Großmütter waren Schwestern.

Angeregt durch die Erzählungen ihrer Mutter Rahil setzt sich Tatjana als Lehrerin für die Erinnerung an den Holocaust ein. Immer wieder erzählt sie Schülern die Geschichte ihrer Familie. 2015 nimmt sie an einem Seminar für Lehrer in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem teil. Durch Zufall erfährt sie, dass in Israel Verwandte leben.

Yad Vashem, Jerusalem

Lili Grün
1904–1942

Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Pf 41.644: C (1), retuschiert von Bronia Wistreich

Lili Grün kommt am 3. Februar 1904 als Jüngste von vier Geschwistern in Wien zur Welt. Ihre Eltern sterben früh. Als Jugendliche interessiert sie sich für Theater, Schauspiel und Literatur. Sie spielt auf verschiedenen Bühnen, etwa am neuen Theater der sozialistischen Arbeiterjugend in Wien. 1931 zieht Lili Grün nach Berlin. Sie schreibt Artikel, Gedichte und publiziert in Zeitschriften wie dem Magazin »Tempo«, dem »Berliner Tageblatt« und dem »Prager Tagblatt«. Gemeinsam mit anderen Künstlern gründet sie das Kabarett »Die Brücke«. Nach Aufenthalten in Prag und Paris kehrt sie 1933 nach Wien zurück, ihr erster Roman erscheint.

Als Jüdin erhält sie 1938 Publikationsverbot. Sie verarmt und leidet an Tuberkulose. Vermutlich 1940 wird sie von den Behörden gezwungen, ihre Wohnung aufzugeben. Zuletzt ist sie in einem Massenquartier für Juden im 1. Bezirk untergebracht. Am 27. Mai 1942 wird sie in einem Transport vom Aspangbahnhof Wien aus nach Minsk deportiert und am 1. Juni in Blagowschtschina ermordet.

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Lili Grün ist 29 Jahre alt, als ihr erster Roman »Herz über Bord« erscheint. Kurz nach der Veröffentlichung wird das Buch ins Ungarische und ins Italienische übersetzt. Ihr zweiter Roman »Loni in der Kleinstadt« erscheint 1935 bei einem Schweizerischen Verlag.

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Das Romanische Café am Kurfürstendamm in Berlin ist der Szenetreff von Schriftstellern, Journalisten, Künstlern und Schauspielern. Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit treffen das Künstlermilieu hart. Für Lili Grün sind Berliner Kaffeehäuser wichtige Anlaufstellen für neue Aufträge und Kontakte.

akg-images, Bildnr. 947655

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Berlin, 7. Mai 1931, die Vossische Zeitung berichtet über einen Auftritt »Lilly« Grüns und ihre »witzig-sentimentalen Gedichte«. Als Mitbegründerin des Kabaretts »Die Brücke« tritt sie gemeinsam mit Schauspielern wie Ernst Busch (1900–1980) auf. Für ihren Lebensunterhalt arbeitet sie tagsüber in einer Konditorei.

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Im südtirolischen Meran versucht Lili Grün 1935, ihre Tuberkulose zu kurieren. Ihr Verleger sammelt Spenden für den Kuraufenthalt, da Grün wegen des Publikationsverbots in Geldnot ist.

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Verladung des Gepäcks von Deportierten vor dem Sammellager in der Kleinen Sperlgasse. Lili Grün wird am 27. Mai 1942 nach Minsk deportiert. Ihr Schicksal teilen etwa 10.000 von insgesamt 50.000 Wiener Juden. Malyj Trostenez ist der Ort, an dem die meisten österreichischen Opfer des Holocaust ermordet werden.

Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien

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2007 wird in der Heinestraße 4 in Wien im Gedenken an Lili Grün ein »Stein der Erinnerung« gesetzt – ebenso für Oswald Levett, Alma Johanna König und Ber Horowitz, drei weitere österreichische Schriftsteller. Sie wurden 1942 in Malyj Trostenez bzw. in Stanislau (Iwano-Frankiwsk, Ukraine) ermordet.

Stiftung Denkmal

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Durch das Engagement einer Bürgerinitiative wird 2009 im 2. Bezirk von Wien ein Platz in der Nähe des Augartens nach Lili Grün benannt. Zur feierlichen Namensgebung findet eine Lesung ihres wieder aufgelegten Buches »Alles ist Jazz« statt.

Stiftung Denkmal

Erich Klibansky
1900–1942

Mädchenklasse der Jawne um 1935

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Erich Klibansky (1900–1942) wächst in einer orthodoxen jüdischen Familie in Frankfurt am Main auf. Er studiert Geschichte, Deutsch und Französisch. 1928 heiratet er die Hamburgerin Meta David (1902–1942). Die beiden ziehen nach Köln, wo Erich Klibansky 1929 Direktor des Jawne-Gymnasiums wird.

Die Jawne – 1919 gegründet – ist das erste jüdische Gymnasium im Rheinland. Als in den 1930er Jahren jüdische Schüler aus den öffentlichen Schulen gedrängt werden, erreicht die Schülerzahl ihren Höchststand. Klibansky versucht, seine Schützlinge auf die Emigration vorzubereiten. Nach den Novemberpogromen 1938 fasst er den Entschluss, die gesamte Schule nach Großbritannien zu verlegen. Im Jahr darauf organisiert er die Ausreise von 130 Schülern mit Kindertransporten dorthin.

Am 1. Juli 1942 wird die Schule geschlossen. Nur wenige Wochen später werden Erich Klibansky mit seiner Frau, den drei Söhnen Hans-Raphael (1928–1942), Alexander (1931–1942) und Michael (1935–1942) sowie rund 100 Jawne-Schülern nach Minsk deportiert. Insgesamt verschleppt die SS mit dem Transport Da 219 am 20. Juli 1942 1.164 Menschen aus Köln und Umgebung. Nach vier Tagen erreicht der Transport Minsk. Nach ihrer Ankunft werden sie in Lastkraftwagen zu neu ausgehobenen Gruben nach Blagowschtschina gebracht und dort erschossen oder auf dem Weg in Gaswagen getötet.

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Erich Klibansky um 1930. Klibansky ist erst 29 Jahre alt, als er Direktor der Jawne wird. Er möchte die jüdische Identität der Schüler stärken, ohne dass sie sich von der deutschen Gesellschaft abschotten. 

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Klibanskys Frau Meta mit den drei Söhnen Hans-Raphael, Michael und Alexander um 1936.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Die Synagoge der orthodoxen Gemeinde »Adass Jeschurun« wird 1943 bei einem Bombenangriff zerstört und Ende der 1950er Jahre abgerissen.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Die St.-Apern-Straße ist in den 1930er Jahren ein Zentrum jüdischen Lebens. In dem vierstöckigen Gebäude (links) sind das Lehrerseminar, die Volksschule »Moriah« und ab 1919 die Jawne untergebracht. 

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Englischklasse im Hof der Jawne-Schule, 1938. Um den Schülern das Leben in der Emigration zu erleichtern, legt die Schule besonderen Wert auf den Sprachunterricht: »[Frau Lüthgen, die Klassenlehrerin] brachte uns ein sehr gutes Französisch und Englisch bei, […] ich musste später […] in Frankreich untertauchen, und niemand merkte an meiner Sprache, dass ich keine Französin war.« (Anni Adler, ehemalige Jawne-Schülerin)

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Nach den Novemberpogromen 1938 holen jüdische Organisationen etwa 10.000 jüdische Kinder und Jugendliche aus dem Deutschen Reich nach Großbritannien. Vier Kindertransporte werden eigens für 130 Schüler der Jawne organisiert, die Klibansky auch persönlich begleitet.

Lern- und Gedenkort Jawne, Köln, Überlassung durch Familie Marchand, London

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Messebahnhof Köln-Deutz, Ausgangspunkt der Deportation am 20. Juli 1942. Helmut Lohn, Helfer der Synagogengemeinde bei der Abfertigung des Deportationszuges: »Es war ein Transport, den ich nie vergessen werde. Alles junge, kräftige Menschen, die sich selbst zu helfen wussten. Es war dies der einzige Transport, wo keine Trauer herrschte, wo das hundertprozentige Gefühl herrschte: Wir werden wiederkommen!«

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Postkarte, die Meta Klibansky am 21. Juli 1942 bei Berlin aus dem Zug wirft. Sie verabschiedet und bedankt sich bei der befreundeten Familie Jakoby.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Seit 1997 erinnert der Löwenbrunnen vor dem ehemaligen Standort der Jawne an 1.100 ermordete jüdische Kinder und Jugendliche aus Köln, aber auch an die durch Erich Klibansky organisierte Rettung von 130 Kindern. Die Löwenfigur wurde durch einen der Geretteten, Hermann Gurfinkel (1926–2004), gestaltet. Der Platz trägt den Namen Erich Klibanskys.

Christian Herrmann

Lea und Pinkas Rennert
1896–1942, 1894–1942

Lea und Pinkas Rennert bei ihrer Verlobung im Jahr 1920

Familienarchiv Rennert

Diese Biographie wurde vom Haus der Geschichte Österreich vorbereitet

Das Foto zeigt Lea Dlugacz und Pinkas Rennert, die beide aus der Bukowina stammten, anlässlich ihrer Verlobung im Jahr 1920. Nach ihrer Hochzeit übersiedelte das Paar nach Wien, wo 1922 ihre Tochter Silvia und 1926 ihr Sohn Erwin zur Welt kamen. Lea Rennert kümmerte sich um Haushalt und Kinder, Pinkas Rennert arbeitete als Vertreter für Metallwaren, vor allem für die Firma „Brunner Verzinkerei“ der Brüder Bablik. Nach dem „Anschluss“ konnte Pinkas Rennert noch einige Zeit als Schweißer im Innendienst arbeiten. Schließlich wurde er von der Israelitischen Kultusgemeinde angestellt. Am 31. Oktober 1939 konnten beide Kinder in die USA ausreisen. Lea und Pinkas Rennert wohnten zuletzt in einer Sammelwohnung in der Odeongasse 5/9. Sie wurden am 5. Oktober 1942 nach Malyj Trostenez deportiert und ermordet.

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Familienfoto im Oktober 1938. Das Ehepaar Rennert mit Sohn Erwin (Mitte) und Tochter Silvia (rechts)

Das Ehepaar Rennert bemühte sich verzweifelt um eine Ausreisemöglichkeit für sich und ihre Kinder. Da beide aus der Bukowina stammten, kamen sie auf die rumänische Quote, was eine Wartezeit von mehreren Jahren bedeutete. Für die Kinder konnten sie schließlich ein Affidavit und ein Visum für die USA bekommen. Erwin (19262009) und Silvia (verh. Rivera, 19222011) verließen Wien am 31. Oktober 1939 und reisten über Triest in die USA aus.

Familienarchiv Rennert

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Am 7. August 1939 schrieb Pinkas Rennert seinem Cousin Benjamin Dlugacz (Ben Duglas) in New York und bat ihn, sich wegen der Unterbringung der Kinder an jüdische Organisationen zu wenden, weil die Familie Duglas selbst nicht vermögend war. Ben Duglas hatte in seiner Synagogengemeinde einen Herrn Freezer erfolgreich gebeten, für das Affidavit zu bürgen, dieser konnte sich aber nicht um die Kinder kümmern. Das Ehepaar Duglas nahm die Kinder schließlich selbst auf.

Familienarchiv Rennert

„Auf welchem Gleis [am Wiener Südbahnhof] steht der Zug? Mein Vater und ich finden unseren Waggon, unser Coupé, dazu den unbekannten, aber freundlichen Herrn Weissmann, den meine Mutter anschaut, als wäre er unser Schutzengel. Die Plattform ist spärlich beleuchtet. Ich sehe aber ihre Tränen, und wie sie sich in die Lippen beißt. Mein Vater hilft und noch, die Koffer zu verstauen. Es erinnert mich an das Gepäck im alten Perl [Auto] und an unsere Reise in die Bukowina. Auch meine Mutter betritt noch kurz das Abteil, betrachtet unsere Sitze, so als wollte sie sehen, wie sich unsere Zukunft gestalten wird. Eine letzte Umarmung, sie streicht mir noch über das Haar, küsst mich, dann muß sie aussteigen. Jetzt fährt der Zug langsam ab. Silvia und ich beugen uns aus dem Fenster, um den Eltern zuzuwinken. Ich sehe noch das blasse und verweinte Gesicht meiner Mutter, und wie der Vater sie am Arm hält. Beide winken, dann sind sie verschwunden.“

Erwin Rennert, Der Welt in die Quere. Lebenserinnerungen 1926–1947, Wien 2000, S. 125.

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„Wenn das Affidavit abgeht, soll Silvia unbedingt telegrafieren, daß es abgegangen ist, das ist sehr wichtig.“

In ihrem Brief vom 17. Februar 1941 an ihren Cousin in New York schrieben Lea und Pinkas Rennert über ihre Hoffnung, bald das Affidavit zu erhalten und machten Pläne für ihre Zukunft. Pinkas Rennert wollte als Elektroschweißer arbeiten, Lea Rennert Oblaten herstellen, sie hatte bereits einige Maschinen, die sie in die USA mitnehmen wollte. Sie schickten nochmals ihre genauen Geburtsdaten, damit es beim Affidavit keine Fehler geben würde. „… man ist halt sehr nervös“, vermerkte Pinkas Rennert – zwei Tage zuvor war der erste große Deportationstransport aus Wien nach Opole (Generalgouvernement) abgegangen.

Familienarchiv Rennert

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Auszug aus der Liste des Deportationstransports vom Aspangbahnhof nach Minsk/Malyj Trostenez vom 5. Oktober 1942

Archiv IKG Wien (Leihgabe im VWI), Bestand Wien, A / VIE / IKG / II / DEP / Deportationslisten

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Der Schutzpolizist Johann Peter schrieb am 19. Oktober 1942 einen „Erfahrungsbericht“ über die Deportation von 549 Jüdinnen und Juden am 5. Oktober 1942, darunter waren auch Lea und Pinkas Rennert. Detailliert beschrieb er die „Einwaggonierung“ am Aspangbahnhof, die von 15:00 bis 20:30 dauerte, zählte die einzelnen Bahnstationen des Transports auf und hielt fest, dass in Wolkowitz (Wołkowysk/Waukawysk, Weißrussland) die Deportierten von Personenwaggons in Viehwaggons umgeladen wurden. Der Transport kam nach vier Tagen am 9. Oktober in Malyj Trostenez an, wo die Wiener Wachmannschaft die aus Wien Deportierten an die SD-Männer vor Ort übergab.

Yad Vashem Archives, DN/27-3, fol. 27f.; Yad Vashem Archives/DÖW Mikrofilm 58

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Fritz (Siegfried) Kneller (19241942)

Fritz Kneller war ein Jugendfreund Erwin Rennerts. Am 30. Oktober 1939, am Tag vor der Abreise von Erwin, schenkte Fritz seinem Freund diese Fotografie mit der Widmung „Zur Erinnerung an Deinen Freund Fritz“. Fritz Kneller wurde mit seinen Eltern Abraham und Pesie Kneller am 27. Mai 1942 nach Malyj Trostenez deportiert und ermordet. Erwin Rennert bewahrte diese Fotografie in seinem Fotoalbum auf.

Familienarchiv Rennert

Morde in Schaschkowka und in der Scheune

Foto der Außerordentlichen Kommission bei der Begehung der Vernichtungsstätte Schaschkowka im Juli 1944.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Ab Ende 1943 wird im Wald Schaschkowka, südlich des Arbeitslagers, eine Leichenverbrennungsanlage eingerichtet. Sie ist von einer Holzwand umgeben und von außen nicht einsehbar. Hier werden »ausgesonderte« Häftlinge und Zwangsarbeiter wie auch des Partisanenkontakts verdächtige Zivilisten ermordet. Die Leichen werden auf einem Metallgitter übereinander gestapelt und verbrannt. Die Außerordentliche Kommission schätzt die Zahl der Opfer auf 50.000.

Die Geschichte der Vernichtungsstätte Malyj Trostenez endet – wenige Tage vor dem Eintreffen der Roten Armee – am 29./30. Juni 1944 mit einem Massaker. Etwa 6.500 Insassen aus Minsker Gefängnissen und die letzten Häftlinge des Arbeitslagers werden mit Lastwagen in eine große Scheune am südlichen Rand des Lagers gebracht, erschossen und verbrannt. Unter ihnen sind auch Frauen und Kinder. Zwei Personen können fliehen und sagen später vor sowjetischen Ermittlungsbehörden aus.

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1962 zeigt Zeuge Wladimir Garanskij den ehemaligen Standort der Verbrennungsanlage.

Latvijas Nacionālais arhīvs, Rīga

»Wie dieser ›Ofen‹ innen eingerichtet war, habe ich nicht gesehen. Ich sah ihn nur von außen. Er war mit einer hohen Holzwand und Stacheldraht umzäunt. Im Norden war ein Tor eingelassen, durch das Kraftwagen hineinfuhren, offene und abgedeckte, Kastenwagen mit lebenden und erschossenen Menschen. Nachdem ein Auto hineingefahren war, wurde das Tor geschlossen und man konnte nicht sehen, was im ›Ofen‹ vor sich ging. Nur manchmal ertönten Schüsse bei Erschießungen, wenn Menschen lebendig gebracht wurden. Auch war im nördlichen Teil, neben der Straße, etwa zwanzig Meter vom Ofen entfernt, das Schild ›Das Betreten dieses Geländes ist verboten‹ an einer Kiefer angenagelt. Ich habe selbst den Rauch gesehen, der aus dem ›Ofen‹ stieg, wenn Menschen verbrannt wurden.«

Aus dem Protokoll der Vernehmung von A. Kareta, einer Einwohnerin des Dorfes Malyj Trostenez, am 17. Juli 1944 NARB, f. 845, op. 1., d. 64, ll. 17-22. In: Lager smerti Trostenez. Dokumenty i materialy, Minsk 2003, S. 64-70.

SCHEUNE

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Aufnahme der Außerordentlichen Kommission von den Resten der Scheune mit den verkohlten Leichen hunderter Menschen.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

»Auf Befehl […] führten die anderen Polizisten und ich die gefangenen Sowjetbürger aus einem allein stehenden, von allen Seiten umzäunten Gebäude heraus, dessen Wände halb in den Boden versenkt waren. Die anderen Polizisten und ich brachten die gefangenen Sowjetbürger in Gruppen von 50 und mehr Personen zu einem Schuppen, der in einer Entfernung von ungefähr 300–400 Meter auf einer Anhöhe stand, führten sie in den Schuppen und erschossen dort […] Die Leichen der Erschossenen wurden gestapelt, die im Schuppen befindlichen Sachen auf die Leichen geworfen […] Als der Schuppen voll mit den Leichen war, begannen wir die Menschen vor den Wänden des Schuppens draußen sowie auf den neben dem Schuppen liegenden Balken zu erschießen.«

Zitat von I. Kasatschenko, belarussischer Kollaborateur KGB-Archiv, d. 26571, t. 7, ll. 135-138.

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Stepanida Sawinskaja im Jahr 1945.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

»[…] Mein Mann und ich wurden Mitte Mai ins SS-Konzentrationslager in der Schirokaja-Straße verlegt, wo wir bis zum 30. Juni 1944 gefangen gehalten wurden. An diesem Tag wurde ich zusammen mit anderen Frauen, 50 an der Zahl, in einen Kraftwagen verladen und in eine unbekannte Richtung gefahren. Als der Wagen ungefähr 10 Kilometer von der Stadt Minsk entfernt war, hielt er neben dem Dorf Malyj Trostenez vor einem der Schuppen. Hier wurde uns allen klar, dass man uns hierher zur Erschießung brachte. […] Auf Kommando der deutschen Henker stiegen die gefangenen Frauen zu viert aus dem Wagen. […] Ich kam auch bald an die Reihe. Ich kletterte mit Anna Golubowitsch, Julija Semaschko und einer weiteren Frau, deren Namen ich nicht kenne, […] auf den Haufen der Leichen. […] Schüsse ertönten, ich war leicht am Kopf verletzt und fiel nieder. Verwundet blieb ich bis zum späten Abend unter Leichen liegen. […] Dann wollte ich aus dem Schuppen entkommen, sah zwei verwundete Männer und wir alle drei beschlossen zu fliehen. Die deutschen Wachmannschaften bemerkten dies und schossen, die Männer waren tot und mir gelang es, mich im Sumpf zu verstecken. Dort blieb ich 15 Tage, ohne zu wissen, dass Minsk bereits von der Roten Armee befreit worden war.«

Stepanida Sawinskaja , geb. 1915, nach dem Krieg Krankenpflegerin der Ambulanz Nr. 3 der Stadt Minsk NARB, f. 759, op. 1, d. 64, l. 70-73. In: Lager smerti Trostenez. Dokumenty i materialy, Minsk 2003, S. 99-100.

Jewgenij Klumow
1876–1944

Jewgenij Klumow als Student mit seiner späteren Ehefrau Galina, 1895

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Jewgenij Klumow wird in Moskau geboren und studiert dort bis 1904 Medizin. Während des Ersten Weltkrieges dient er als Stabsarzt in der russischen Armee. Seit den 1920er Jahren leitet Klumow die Gynäkologie an einem Minsker Krankenhaus und lehrt Geburtshilfe sowie Gynäkologie an der Medizinischen Hochschule.

Ab den ersten Tagen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion operiert er verwundete Soldaten in seiner Klinik und lässt sie ins Hinterland bringen. Anfang 1942 tritt Klumow in Verbindung zu Widerstandsgruppen in Minsk. Er versorgt sie mit chirurgischen Instrumenten, Medikamenten und Verbandstoff. Er behandelt Verwundete und sorgt dafür, dass sie später zu den Partisanen gelangen. Er versteckt Jugendliche in seinem Krankenhaus, um sie vor dem Abtransport zur Zwangsarbeit nach Deutschland zu schützen.

Im Oktober 1943 werden das Ehepaar Klumow und andere Ärzte in der Klinik festgenommen, verhört und gefoltert. Man bringt sie in das Lager an der Schirokaja-Straße. Im Februar 1944 ermordet die SS Klumow und seine Frau Galina in einem Gaswagen auf dem Weg nach Trostenez. Anschließend werden die Leichen vermutlich in Schaschkowka verbrannt.

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Jewgenij Klumow (Mitte) in einem Krankenhaus während des Ersten Weltkrieges

Muzej istorii mediziny, Minsk

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Minsk, 1940: Jewgenij Klumow (1. Reihe, 2. v. r.) mit seinen Kollegen des Ersten Sowjetischen Krankenhauses

Muzej istorii mediziny, Minsk

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Klumow ist in Belarus eines der bekanntesten Opfer von Trostenez. 1965 erhält er posthum den Titel »Held der Sowjetunion«. In Minsk sind ein Krankenhaus und eine Straße nach ihm benannt. Anlässlich seines 125. Geburtstags wird 2001 diese Briefmarke herausgegeben.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

»Am 8. Februar 1944 gegen Abend wurde eine Gruppe von Häftlingen aus dem Minsker Gefängnis ins Lager [in der Schirokaja-Straße] gebracht. Unter ihnen waren viele Ärzte, und ich erkannte sofort Jewgenij und Galina ... Prof. Klumow sah sehr schlecht aus, er war schwer krank [...] Unser Lagerarzt Gurewitsch, er war selbst Häftling, ließ die Klumows im Lazarett unterbringen, stellte ihnen sein Bett zur Verfügung [...] Ich verbrachte mit ihnen fünf Tage im Lazarett. Jewgenij erzählte mir von den Verhören [...] Er fühlte sich wegen seiner Diabetes äußerst schlecht [...] Galina war auch völlig erschöpft, sie konnte kaum das Bett verlassen … Gegen neun Uhr morgens ließ man alle Häftlinge inmitten des Lagers antreten [...] Wenige Minuten später fuhren die Gaswagen vor.«

Aus den Erinnerungen der Ärztin Ljudmila Kaschechkina, ehemaliges Mitglied der Widerstandsbewegung in Minsk

Nikolaj Walachanowitsch
1917–1989

Nikolaj Walachanowitsch bei einem Treffen mit Schülern, 1980er Jahre.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

Nikolaj Walachanowitsch arbeitet als Fahrdienstleiter am Bahnhof Negoreloje, 50 Kilometer von Minsk entfernt. Ab April 1943 stellt er Berichte über die verkehrenden Lasttransporte zusammen und leitet diese an Verbindungsleute der sowjetischen Aufklärung weiter.

Am 20. Juni 1944 – kurz vor der Befreiung von Minsk – wird Walachanowitsch verraten und zusammen mit mehreren Dorfbewohnern als Partisan vom SD verhaftet. Er wird ins Minsker Gefängnis an der Wolodarskogo-Straße gebracht und gefoltert. Dann bringt die SS ihn und andere Häftlinge am 29. Juni auf einem LKW nach Malyj Trostenez zur Erschießung. Er wird in eine Scheune geführt, in der bereits unzählige Leichen übereinander liegen, angeschossen und verliert ein Auge. Fast anderthalb Tage liegt er zwischen den Leichen, dann kriecht er – die Erschießungen dauern noch an – ins Freie und versteckt sich. Kurze Zeit später wird die Scheune von den Wachmannschaften angezündet.

Anfang der 1960er Jahre laden ihn die Behörden zur Zeugenaussage nach Moskau ein, da die Sowjetunion Material für einen Prozess gegen SS-Angehörige in Koblenz sammelt. Bis ins hohe Alter nimmt Walachanowitsch an Gedenkveranstaltungen in Malyj Trostenez teil, wo er Schülern von seinen Erfahrungen berichtet.

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Foto aus den Vorkriegsjahren: Nikolaj Walachanowitsch (rechts) mit einem Freund in der Dienstkleidung der Eisenbahner.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj mit seiner Frau Serafima (Mitte), der Schwester Tamara (links) und dem Bruder Alexander, etwa 1938.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj Walachanowitsch mit seiner Frau Serafima (rechts), der Tochter Galina (2. v. l.) und dem Sohn Leonid (2. v. r.) in den 1950er Jahren. Galina berichtet später über ihren Vater: »Er erzählte [seine Geschichte] auch den Enkelkindern. [...] Er wollte uns Kindern beibringen, was er erlebt hatte. [...] Wir sollten es für immer in unserem Gedächtnis behalten.«

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj Walachanowitsch mit seiner Frau Serafima (erste Reihe rechts) und Freunden im Dorf Negoreloje in den 1970er Jahren. Nikolaj Walachanowitsch verbringt sein gesamtes Leben in dem Dorf.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

»So wurden wir nach Trostenez gebracht, ins Lager, das früher für Juden bestimmt war. Wir trafen dort keine Menschen an, aber überall lagen Klamottenfetzen, Geschirr, Brot- und Kartoffelreste […] Der Wagen fuhr dicht an diese Scheune, genauer gesagt an ihr Tor. Sogleich ließ man die ersten fünf Häftlinge aussteigen. Sie betraten die Scheune, und sofort waren Schüsse zu hören. [...] Bald kam ich an die Reihe. [...] Ich sprang aus dem Wagen und ging zur Scheune. Dort lag Stroh auf dem Boden. Links am Eingang stand eine Reihe von drei oder vier Mann aus dem Strafkommando. Ich hob die Hände hoch, drehte mich um, den Rücken zu den Wachleuten, und ging an die Wand, so befahlen sie es mir mit Handbewegungen. Als ich mich umdrehte und einen Schritt machte, knallten die Schüsse. [...] Ich verstand gleich, dass ich noch am Leben war, doch wieso – das konnte ich nicht begreifen […] Die Erschießung dauerte bis zum späten Abend an [...] Etwa um sechs oder um sieben Uhr des nächsten Tages, am 30. Juni 1944, wurde die Erschießung fortgesetzt. [...] Gerade um die Zeit kam ein Wagen mit der nächsten Gruppe Häftlinge, die zum Tode verdammt waren. Das Strafkommando umringte den Wagen, das Scheunentor blieb einige Zeit außerhalb ihrer Sicht. Da gelang es mir, aus der Scheune zu kriechen. [...] Ich konnte bald ein Roggenfeld erreichen, wo ich mich versteckte und einschlief.«

Nikolaj Walachanowitsch

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Minsk, 3. Juli 1962: Nikolaj Walachanowitsch (vorn, mit Hut) zusammen mit seinem Sohn Leonid (rechts daneben). Die Gruppe ist am Tag der Befreiung auf dem Weg zur Kranzniederlegung in Bolschoj Trostenez.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj Walachanowitschs Ausweis aus dem Jahr 1970, der ihn als ehemaligen Partisanen ausweist.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

»Meiner Mutter wurde mitgeteilt, dass Nikolaj ins Krankenhaus gebracht worden sei [...] Wir hatten ein Pferd [...] Mutter setzte mich auf das Fuhrwerk und sagte ›Wir fahren zu Vater‹ [...] Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich den Vater im Krankenhaus nicht erkannte. Sein Gesicht war komplett verbunden. Ich hatte sogar Angst, ihm näher zu kommen.«

Tochter Galina

AUFARBEITUNG UND ERINNERUNG

Juristische Aufarbeitung nach dem Krieg

Urteilsverkündung Minsker Prozesse

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk, Ausschnitt aus dem Film »Gericht des Volkes«, 1946

Bereits 1941 formulieren die Alliierten die Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen als eines ihrer wichtigsten Kriegsziele. Beim Nürnberger Prozess (1945/46) werden erstmals die politischen und militärischen Spitzen eines Staates vor einem internationalen Gericht wegen Verletzungen des Völkerrechts und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Zwölf der 24 Angeklagten verurteilt der Militärgerichtshof zum Tode.

In der folgenden juristischen Aufarbeitung spiegelt sich die politische Entwicklung wider: Die Verbrechen der Nationalsozialisten werden vielerorts verdrängt, einem Großteil der Täter gelingt es, sich der Verantwortung zu entziehen. Erst ab Ende der 1950er Jahre werden nationalsozialistische Verbrechen in Minsk vor deutschen und österreichischen Gerichten verhandelt.

Minsker Prozess

Szenen aus dem Minsker Prozess gegen Angehörige von Wehrmacht, Polizei und SS im Januar 1946. Der Prozess wird öffentlich verhandelt. Einer der 18 Angeklagten ist der ehemalige SS-Oberführer Eberhard Herf, der auch zahlreicher Verbrechen in Malyj Trostenez beschuldigt wird. 14 von ihnen werden am 29. Januar zum Tode verurteilt. Zur Hinrichtung auf der Minsker Pferderennbahn am Tag darauf kommen Zehntausende Zuschauer.

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Die Angeklagten bei der Urteilsverkündung. Zweiter von rechts in der vorderen Reihe: Eberhard Herf (1887–1946)

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk, Ausschnitt aus dem Film »Gericht des Volkes«, 1946

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Wenige Sekunden vor der Hinrichtung.

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk, Ausschnitt aus dem Film »Gericht des Volkes«, 1946

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Ein berittener Offizier gibt das Signal zur Vollstreckung des Urteils

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk, Ausschnitt aus dem Film »Gericht des Volkes«, 1946

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Die Galgen auf der Minsker Pferderennbahn

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk, Ausschnitt aus dem Film »Gericht des Volkes«, 1946

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Angeklagte im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. In der vorderen Reihe von links: Hermann Göring (1893–1946), die Nummer zwei des Dritten Reiches, Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess (1894–1987), Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (1893–1946) und Wilhelm Keitel (1882–1946), Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Göring begeht Selbstmord, Ribbentrop und Keitel werden hingerichtet, Hess stirbt nach über 40 Jahren in Haft.

Stadtarchiv Nürnberg, A 65/II Nr. RA-262-D

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Eduard Strauch (1906–1955), angeklagt beim Einsatzgruppenprozess, der 1947 in Nürnberg vor einem amerikanischen Militärgericht geführt wird. Strauch, als Führer eines Einsatzkommandos und KdS Minsk für zahlreiche Massenmorde auch in Malyj Trostenez verantwortlich, erhält die Todesstrafe. Später zu lebenslanger Haft begnadigt, stirbt er in Haft.

United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C., Sig. 09944

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Koblenz, 16. Oktober 1962: Der ehemalige Chef des Einsatzkommandos 14, Georg Heuser, in einem Polizeifahrzeug auf dem Weg zum Schwurgericht.

In den 1960er Jahren werden vor deutschen Gerichten etwa zehn Prozesse geführt, die NS-Verbrechen der Deutschen in Minsk zum Gegenstand haben. 30 Personen werden angeklagt – 23 erhalten hohe Haftstrafen, fünf davon lebenslänglich. Besondere Aufmerksamkeit erregt der Fall des 1959 verhafteten Georg Heuser (1913–1989). Der ehemalige Abteilungsleiter des KdS Minsk ist zu diesem Zeitpunkt Chef des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz. Er wird 1963 wegen Beihilfe zum Mord in 11.103 Fällen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, jedoch bereits 1969 aus der Haft entlassen.

picture-alliance/dpa, Sig. 3375838

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Moskau, 1963: Pressekonferenz zum Prozess gegen Georg Heuser, der auch in der UdSSR hohe Wellen schlägt. Die sowjetischen Behörden stellen neues Belastungsmaterial gegen die ehemaligen Besatzer vor. Auch Überlebende von Malyj Trostenez werden befragt.

picture-alliance/dpa, Sig. 3375898, TASS

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1962/63 ermitteln sowjetische Behörden gegen Albert Saukitens (1910–?). Als Mitglied einer lettischen Einheit war er in Malyj Trostenez an Massenerschießungen beteiligt. Das Foto entsteht bei einer Ortsbegehung im September 1962. Saukitens wird zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt.

Latvijas Nacionālais arhīvs, Rīga

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Bundesdeutsche Ermittler stoßen immer wieder auf tatverdächtige Personen in Österreich. Die dortige Amtshilfe erfolgt derart schleppend, dass manche Verfahren mit Freisprüchen enden, weil Belastungsmaterial fehlt.

Das einzige österreichische Verfahren gegen ein Mitglied des KdS Minsk ist der Prozess gegen den Gaswagenfahrer Josef Wendl. Er wird 1970 freigesprochen, weil ihm die Geschworenen bescheinigen, unter Befehlsnotstand gehandelt zu haben.

Arbeiter-Zeitung Österreich

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Simon Wiesenthal (1908–2005) bei einer Kundgebung in Wien 1979. Wiesenthal kämpft jahrzehntelang für die Bestrafung der am Holocaust beteiligten Täter. Er spürt Dokumente und Zeugen auf, findet Täter und leitet seine Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaften weiter. Seine Forschungen tragen entscheidend dazu bei, das Geschehen in Malyj Trostenez vor Gericht zu rekonstruieren und im deutschen Sprachraum bekannt zu machen.

picture-alliance/dpa, Sig. 2288559

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Brief Wiesenthals an den jüdischen Überlebenden Johann Noskes 1962 im Zusammenhang mit Malyj Trostenez

Simon Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, Wien

Arthur Harder
1910–1964

Arthur Harder, etwa 1942

Bundesarchiv (BArch R9361-III/66590)

Dieser Text wurde vom Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt vorbereitet

Der 1910 in Frankfurt geborene Arthur Harder leitete von September bis November 1943 das Sonderkommando 1005-Mitte, das für die Spurenbeseitigung in Malyj Trostenez verantwortlich war. In dieser Zeit beteiligte er sich an der Ermordung von jüdischen und russischen Arbeitshäftlingen. Im November 1943 führte er in Malyj Trostenez die vom Reichssicherheitshauptamt befohlene Hinrichtung dreier jüdischer Häftlinge durch, die er bei lebendigem Leib verbrennen ließ.

An Arthur Harder erinnerten sich die meisten Kommando-Angehörigen als großen kräftigen Mann, der stets laut und brutal aufgetreten sei. Mit dem Satz „Ich will Figuren sehen!“ – als Figuren habe er sowohl die Leichen als auch die Häftlinge bezeichnet –, sei er auf die Leichenstapel im Wald von Blagowschtschina geklettert und habe die Arbeitshäftlinge mit Peitschen- oder Knüppelschlägen zu schnellerem Arbeiten angetrieben.

Arthur Harder hatte nach dem Besuch der Volksschule und einer kaufmännischen Lehre zunächst als Angestellter gearbeitet, war aber bereits 1929 der NSDAP und der SA beigetreten, 1930 schloss er sich der SS an. Ab 1938 war er hauptamtlich für den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS tätig. 1942 erfolgte seine Einberufung zur Waffen-SS, wo er ab 1944 den Rang eines Hauptsturmführers innehatte.

Im Mai 1945 geriet Arthur Harder zunächst in Gefangenschaft der britischen Streitkräfte, die ihn an die Amerikaner übergaben. Als SS-Angehöriger wurde er im Internierungslager Darmstadt inhaftiert. Die Spruchkammer stufte ihn in ihrem Urteil vom 2. Juli 1948 als „Minderbelasteten“ ein und verurteilte ihn zu einer Bewährungsfrist von zwei Jahren sowie zur Zahlung einer Wiedergutmachung von 200 Reichsmark.

Nach seiner Rückkehr nach Frankfurt-Eckenheim arbeitete er als Angestellter bei der Firma Krupp Fahrzeuge. In den 1950er Jahren ermittelte die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Singens antisemitischer Lieder während eines Treffens „Hilfsgemeinschaft ehemaliger SS-Angehöriger“ in einer Frankfurter Gaststätte. Während der Ermittlungen griff er einen Zeugen der Staatsanwaltschaft an, verletzte ihn schwer und wurde daraufhin vom Frankfurter Schöffengericht zu zwei Monaten auf Bewährung verurteilt.

1963 sprach ihn das Landgericht Koblenz des Mordes an den drei Juden, die er im November 1943 verbrannte, schuldig und verurteilte ihn zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Dieses Urteil wurde vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Arthur Harder verstarb am 3. Februar 1964 in Frankfurt.

»Ich war Soldat gewesen und habe eine Kompanie geführt und hatte auch keinen politischen Weitblick und musste glauben, dass wir den Krieg gewinnen würden. Von Grausamkeiten und Verbrechen, die von der SS begangen worden sind, ist mir nichts bekannt und habe von solchen während des Krieges auch nichts gehört.«

Arthur Harder über seine Funktion in der Waffen-SS (HHStAW, Spruchkammerakte von Arthur Harder (Abt. 520/Da Z Nr. 517804

Erinnerung an Malyj Trostenez

Seit 2010 organisiert der österreichische Verein IM–MER um Waltraud Barton Gedenkreisen nach Malyj Trostenez. Viele Teilnehmer hängen gelbe Schilder mit Namen und Fotos der dort ermordeten Juden an Bäume in Blagowschtschina. Schüler aus Bolschoj Trostenez bringen mittlerweile Schilder mit Namen belarussischer Opfer an.

IM-MER, Waltraud Barton

Gleich nach der Befreiung von Minsk werden in Malyj Trostenez schlichte Gedenkzeichen aufgestellt und Gedenkfeiern organisiert. Der Bau einer Gedenkstätte ist in dem vom Krieg verwüsteten Land zunächst nicht zu leisten. Malyj Trostenez ist in den Jahrzehnten nach dem Krieg dennoch auf vielfältige Weise in der Erinnerungskultur sichtbar: in öffentlichen Gedenkveranstaltungen, Denkmälern, Kunstwerken und im Schulunterricht.

Obwohl Malyj Trostenez eine der zentralen Mordstätten des Nationalsozialismus war, bleibt der Name des Ortes außerhalb der Sowjetunion lange nahezu unbekannt. Es sind vor allem Orte wie Auschwitz, Buchenwald oder Bergen-Belsen, die symbolisch für die Gräuel des Nationalsozialismus stehen.

Erst nach der Öffnung der Grenzen Anfang der 1990er Jahre sorgen belarussische Initiativen dafür, dass Namen und Lebensgeschichten der Opfer ermittelt werden. Auch das Engagement von Einzelpersonen – wie des Nazijägers Simon Wiesenthal in Österreich oder des deutschen Journalisten Paul Kohl – setzt Veränderungen in Gang. Es entstehen Erinnerungszeichen, Publikationen, Filme und Ausstellungen in Belarus, Deutschland, Österreich und Tschechien – viele davon in internationaler Kooperation. 2014 wird schließlich der Grundstein für ein neues Denkmal am historischen Ort gelegt.

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Bereits während des Krieges gibt es in der sowjetischen Presse Berichte – wie im »Minskij Bolschewik« vom 2. November 1943, dass die »deutschen Banditen« bzw. »faschistische Barbaren« in Malyj Trostenez Frauen und Kinder zu Tausenden erschießen und in Gruben werfen.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Ausschnitt aus der »Soviet War News« vom 22. September 1944, herausgegeben von der Presseabteilung der Sowjetischen Botschaft in London. Die Sowjetunion ist bemüht, das Ausmaß der deutschen Verbrechen und die Funde der Außerordentlichen Kommission weltweit bekannt zu machen.

United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C.

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Trauerkundgebung in Malyj Trostenez. 3. September 1944. Die ersten Erinnerungszeichen werden nach und nach durch Gedenksteine ersetzt.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Originalobjekte aus Malyj Trostenez sind seit Eröffnung des Museums im Oktober 1944 in der Ausstellung zu sehen. Das obige Bild zeigt das Diorama des Lagers 1946, unten die Installation auf einem Foto von 2014.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Originalobjekte aus Malyj Trostenez sind seit Eröffnung des Museums im Oktober 1944 in der Ausstellung zu sehen. Das obige Bild zeigt das Diorama des Lagers 1946, unten die Installation auf einem Foto von 2014.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Über 70 Jahre lang befindet sich eine Glasvitrine mit Asche und Knochen von Opfern aus Malyj Trostenez in der Ausstellung. Am 18. März 2016 werden diese Überreste feierlich in die Krypta der Gedächtniskirche aller Heiligen in Minsk überführt und dort bestattet.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk; Minsk-Novosti, Minsk

Über 70 Jahre lang befindet sich eine Glasvitrine mit Asche und Knochen von Opfern aus Malyj Trostenez in der Ausstellung. Am 18. März 2016 werden diese Überreste feierlich in die Krypta der Gedächtniskirche aller Heiligen in Minsk überführt und dort bestattet.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk; Minsk-Novosti, Minsk

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»Warst du in Trostenez?... Im Todeslager?... Du begreifst gar nichts!« – schreit der 12-jährige Held im Film »Iwans Kindheit« (UdSSR, 1962). Iwan will unbedingt kämpfen, um sich für die Ermordung seiner Familie zu rächen. Der Film gewinnt den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig und begründet den internationalen Ruhm seines Regisseurs Andrej Tarkowskij (1932–1986).

Mosfilm, Moskau, Filmausschnitt »Iwans Kindheit«, 1962

Seit 1963 erinnert ein Obelisk (erstes Bild) an die Opfer des Lagers Malyj Trostenez. Er steht im Dorf Bolschoj Trostenez, mehrere Kilometer vom historischen Ort der Massenerschießungen in Blagowschtschina entfernt, der in der Nachkriegszeit als militärisches Übungsgelände genutzt wird.

Die anderen Bilder zeigen Malyj Trostenez, Mitte der 2000er Jahre. Jahrzehntelang erinnern an den historischen Orten der Scheune (zweites), der Leichenverbrennungen in Schaschkowka (drittes) und der Erschießungsstätte Blagowschtschina (letztes) Gedenksteine an die Opfer.

Stiftung Denkmal

Seit 1963 erinnert ein Obelisk (erstes Bild) an die Opfer des Lagers Malyj Trostenez. Er steht im Dorf Bolschoj Trostenez, mehrere Kilometer vom historischen Ort der Massenerschießungen in Blagowschtschina entfernt, der in der Nachkriegszeit als militärisches Übungsgelände genutzt wird.

Die anderen Bilder zeigen Malyj Trostenez, Mitte der 2000er Jahre. Jahrzehntelang erinnern an den historischen Orten der Scheune (zweites), der Leichenverbrennungen in Schaschkowka (drittes) und der Erschießungsstätte Blagowschtschina (letztes) Gedenksteine an die Opfer.

Stiftung Denkmal

Seit 1963 erinnert ein Obelisk (erstes Bild) an die Opfer des Lagers Malyj Trostenez. Er steht im Dorf Bolschoj Trostenez, mehrere Kilometer vom historischen Ort der Massenerschießungen in Blagowschtschina entfernt, der in der Nachkriegszeit als militärisches Übungsgelände genutzt wird.

Die anderen Bilder zeigen Malyj Trostenez, Mitte der 2000er Jahre. Jahrzehntelang erinnern an den historischen Orten der Scheune (zweites), der Leichenverbrennungen in Schaschkowka (drittes) und der Erschießungsstätte Blagowschtschina (letztes) Gedenksteine an die Opfer.

Stiftung Denkmal

Seit 1963 erinnert ein Obelisk (erstes Bild) an die Opfer des Lagers Malyj Trostenez. Er steht im Dorf Bolschoj Trostenez, mehrere Kilometer vom historischen Ort der Massenerschießungen in Blagowschtschina entfernt, der in der Nachkriegszeit als militärisches Übungsgelände genutzt wird.

Die anderen Bilder zeigen Malyj Trostenez, Mitte der 2000er Jahre. Jahrzehntelang erinnern an den historischen Orten der Scheune (zweites), der Leichenverbrennungen in Schaschkowka (drittes) und der Erschießungsstätte Blagowschtschina (letztes) Gedenksteine an die Opfer.

Stiftung Denkmal

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In den 1970er Jahren erarbeiten Schüler im benachbarten Bolschoj Trostenez eine Ausstellung zur Geschichte der Vernichtungsstätte. Sie ist bis heute in der Schule zu sehen. Auch die folgenden Schülergenerationen setzen sich für das Gedenken an die Opfer ein. Das Todeslager Trostenez ist ein wichtiges Thema im Unterricht an belarussischen Schulen und Hochschulen.

Aliaksandr Dalhouski

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Broschüre des Museums des Großen Vaterländischen Krieges aus dem Jahr 1986

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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2003 erscheint die Dokumentation »Todeslager Trostenez«, eine Sammlung von Dokumenten aus dem Museum des Großen Vaterländischen Krieges und den wichtigsten Archiven von Belarus. Eine neue, erweiterte Fassung folgt 2016. Die historische Forschung zu Trostenez wird vor allem im Institut für Geschichte der Nationalen Akademie der Wissenschaften betrieben.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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1994 wird in Minsk die Geschichts- und Gedenkstiftung »Trostenez« gegründet, um die Errichtung einer Gedenkstätte am historischen Ort voranzubringen. Mit dabei sind zahlreiche Künstler, Historiker und Vertreter der Politik.

Geschichtswerkstatt Minsk

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2003 eröffnet in Minsk die deutsch-belarussische Geschichtswerkstatt. Sie widmet sich der historischen Forschung, der Bildung und der Unterstützung der Überlebenden der deutschen Besatzung. Eines ihrer wichtigsten Projekte ist das Zeitzeugenarchiv, das belarussische, deutsche, österreichische und tschechische Schicksale dokumentiert.

Geschichtswerkstatt Minsk

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Das Gelände des ehemaligen Lagers wird neu gestaltet. Am 22. Juni 2015 wird durch Staatspräsident Aljaksandr Lukaschenka der erste Bauabschnitt der Öffentlichkeit übergeben. Im Mittelpunkt steht »Die Pforte der Erinnerung« des Bildhauers Konstantin Kostjutschenko (*1980).

Stiftung Denkmal

Die Prager Pinkassynagoge aus dem 16. Jahrhundert ist seit 1954 Gedenkstätte für die ermordeten Juden aus Böhmen und Mähren. Neben der Bima sind die Namen der wichtigsten Mordstätten zu sehen, darunter Minsk und Malyj Trostenez.

Židovské muzeum v Praze

In der Gedenkstätte Theresienstadt erinnern seit 2001 Behälter mit Erde aus Mordstätten – darunter Malyj Trostenez – an die Opfer der Deportationen aus dem Ghetto.

Památník Terezín, Radim Nytl

1967 stellt die Liga für Menschenrechte an zwei prominenten Plätzen in West-Berlin Gedenktafeln auf. Sie erinnern an »Orte des Schreckens, die wir niemals vergessen dürfen«. Sie sind als Antwort auf Tafeln gedacht, die damals an verlorene deutsche Städte wie Breslau und Königsberg erinnern. 1995 wird die Auflistung um Trostenez und Flossenbürg ergänzt.

Stiftung Denkmal

Am Sockel des 2000 eingeweihten Mahnmals für die österreichischen Opfer der Shoa auf dem Wiener Judenplatz der britischen Künstlerin Rachel Whiteread sind die Namen von 41 Orten eingraviert, an denen Juden aus Österreich ermordet wurden. Malyj Trostenez ist der Ort mit den meisten österreichischen Opfern des Holocaust.

Lukas Meissel

Am Sockel des 2000 eingeweihten Mahnmals für die österreichischen Opfer der Shoa auf dem Wiener Judenplatz der britischen Künstlerin Rachel Whiteread sind die Namen von 41 Orten eingraviert, an denen Juden aus Österreich ermordet wurden. Malyj Trostenez ist der Ort mit den meisten österreichischen Opfern des Holocaust.

Lukas Meissel

Auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs in Minsk werden zwischen 1991 und 2015 Gedenksteine errichtet, die an in Minsk und in Malyj Trostenez ermordete Juden aus Bremen, Hamburg, Köln/Bonn, Düsseldorf, Berlin, Wien, Frankfurt am Main, Königsberg (Kaliningrad) und Brünn (Brno) erinnern.

Stiftung Denkmal

Eine Gedenktafel am Königsberger Nordbahnhof erinnert an die 465 Juden, die am 24. Juni 1942 nach Malyj Trostenez deportiert und ermordet wurden. Das Gedenkzeichen kommt 2011 durch das gemeinsame Engagement von ehemaligen Königsbergern und Bürgern des heutigen Kaliningrad zustande.

Stiftung Denkmal

April 2011: Eröffnung der Wanderausstellung »Berlin-Minsk. Unvergessene Lebensgeschichten« im Berliner Centrum Judaicum. Die Ausstellung haben Studierende der Humboldt-Universität Berlin erarbeitet. Sie zeigt Biographien von Berliner Juden, die nach Minsk und nach Malyj Trostenez verschleppt wurden. Sie macht später auch in Minsk Station.

Stiftung Denkmal

2005 eröffnet das Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Zentrum Berlins. Es ist die zentrale Holocaust-Gedenkstätte in Deutschland. Im Ort der Information wird Malyj Trostenez als eine von acht zentralen Vernichtungsstätten des Holocaust dargestellt.

Stiftung Denkmal

Erinnerungskultur in Belarus

Minsk nach der Befreiung, Juli 1944. Foto des sowjetischen Kriegskorrespondenten Iwan Schagin (1904–1982).

Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Iwan Schagin

Von allen europäischen Ländern erleidet Belarus die schwersten Kriegsschäden und hat – mit mehr als einem Viertel der Bevölkerung – die meisten Opfer zu beklagen. Diese Erinnerung, der Partisanenkampf und insbesondere das Gedenken an den Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland sind für die Identität des Landes von zentraler Bedeutung. Auch über 70 Jahre nach Kriegsende werden die Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges  als Helden verehrt.

Die Erinnerungskultur in der Belarussischen Sowjetrepublik ist vielfältig und erfasst alle Gesellschaftsschichten. Als Hauptziel gilt, die Erinnerung von einer Generation auf die nächste weiterzugeben. Auf staatlicher Ebene wird eine breite militärpatriotische Erziehungsarbeit für Jugendliche organisiert. Diese Tradition besteht bis heute fort.

Auch das Leid der Zivilbevölkerung wird – stärker als anderswo in der ehemaligen Sowjetunion – gewürdigt. An die ermordeten Juden gibt es zu sowjetischen Zeiten kaum eigenständige Erinnerung. Im Vielvölkerstaat UdSSR wird ihrer – zusammen mit anderen zivilen Opfern – als friedlicher Sowjetbürger gedacht. Nach 1991 entstehen vielerorts Erinnerungszeichen für diese Opfergruppe.

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Minsk, Juli 1969: Der ehemalige Kommandeur der Partisanenbrigade »Für Sowjet-Belarus« Aleksandr Romanow (1918-1994) im Gespräch mit Schülern im Museum des Großen Vaterländischen Krieges.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Kriegsveteranen nehmen regelmäßig an der Aufnahmezeremonie der Pionierorganisation teil, so wie hier 1982 im Museum des Großen Vaterländischen Krieges.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Feier zum Tag des Sieges am 9. Mai 1972 in Minsk mit Piotr Mascherow (1918–1980), dem Vorsitzenden des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von Belarus. Die zentralen Nationalfeiertage sind nach wie vor der Tag des Sieges sowie der Unabhängigkeitstag 3. Juli, der an die Befreiung von Minsk 1944 erinnert.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Das Belarussische Museum des Großen Vaterländischen Krieges eröffnet bereits drei Monate nach der Befreiung von Minsk 1944 und ist seitdem das wichtigste militärhistorische Museum des Landes. Der 2014 fertiggestellte Neubau war eines der größten staatlichen Bauprojekte der letzten Jahre.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Unterricht für Studierende an der Hochschule für Kultur und Kunst in den Ausstellungsräumen des Museums im März 2016. Seit seiner Gründung ist das Museum ein zentraler Ort für die militärpatriotische Erziehung junger Belarussen.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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Die Verteidiger der Festung des belarussischen Brest gelten bereits in der Sowjetunion als Helden. Seit 1965 trägt die Festung Brest den Titel »Heldenfestung«. Minsk gehört seit 1974 zu den »Heldenstädten«.

Fotochronika Belta, Nr. 2393, W. German

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Orscha, Ausstellung des 1948 zu Ehren des regionalen Partisanenkommandeurs Konstantin Saslonow (1910–1942) eröffneten Museums im Osten des Landes. Belarus wird oft Partisanenrepublik genannt. Literatur, Denkmäler und Museen halten die Erinnerung an die Widerstandskämpfer wach.

Christian Ganzer

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Eine eigene Abteilung des Regionalmuseums Nowogrudok widmet sich der Geschichte der jüdischen Partisanen unter dem Kommando von Tuvia Bielski (1906–1987). Sie operieren in den umliegenden Wäldern und retten mehr als tausend Juden das Leben. Im September 1943 fliehen mehr als hundert jüdische Häftlinge aus dem Ghetto Nowogrodek durch einen selbstgebauten Tunnel zu ihnen.

Muzej ewrejskogo soprotiwlenija, Nowogrudok

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Etwa 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene kamen in deutscher Haft ums Leben, es gibt jedoch kaum Erinnerungszeichen für sie. Die 1995 errichtete Gedenkstätte Stalag 342 in Molodetschno ist eine Ausnahme.

Christian Ganzer

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Ausschnitt aus dem Film »Komm und sieh« (UdSSR 1985) des russischen Regisseurs Elem Klimow (1933–2003), entstanden nach dem Drehbuch des belarussischen Schriftstellers Ales Adamowitsch (1927–1994). Der Film spielt 1943 in Belarus und zeigt den Horror des Krieges aus den Augen des Partisanenjungen Fljora. Der Kriegsfilm gilt bis heute als einer der besten der Kinogeschichte.

Mosfilm, Moskau, Filmausschnitt »Komm und sieh«, 1985

Die 1969 eröffnete Gedenkstätte Chatyn erinnert an 628 mitsamt der Bevölkerung ausgelöschte belarussische Dörfer. Eine sechs Meter hohe Statue in ihrem Zentrum stellt den Überlebenden Josif Kaminskij dar, der seinen toten Sohn trägt. Den Gestaltern der Gedenkstätte Jurij Gradow, Leonid Lewin, Walentin Sankowitsch und dem Bildhauer Sergej Selichanow wurde 1970 die höchste sowjetische Auszeichnung, der Lenin-Preis, verliehen.

Stiftung Denkmal, Christian Dohnke

Die 1969 eröffnete Gedenkstätte Chatyn erinnert an 628 mitsamt der Bevölkerung ausgelöschte belarussische Dörfer. Eine sechs Meter hohe Statue in ihrem Zentrum stellt den Überlebenden Josif Kaminskij dar, der seinen toten Sohn trägt. Den Gestaltern der Gedenkstätte Jurij Gradow, Leonid Lewin, Walentin Sankowitsch und dem Bildhauer Sergej Selichanow wurde 1970 die höchste sowjetische Auszeichnung, der Lenin-Preis, verliehen.

Stiftung Denkmal, Christian Dohnke

Denkmal Jama (deutsch: »Grube«) 1963 und heute. 1946 wird ein Obelisk mit russischer und jiddischer Inschrift eingeweiht. Er erinnert an 5.000 Juden aus dem Ghetto, die die Besatzer am 2. März 1942 in einer einzigen Aktion ermordeten. Das Denkmal ist eines der wenigen, die in der frühen Nachkriegszeit ausdrücklich in Erinnerung an jüdische Opfer aufgestellt werden und die Sowjetunion überdauern. Die von Leonid Lewin, Aleksandr Finskij und Elsa Pollak entworfene Skulpturengruppe wird im Juli 2000 enthüllt. Das Denkmalsensemble ist das zentrale Gedenkzeichen für die Opfer des Holocaust in Belarus.

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk; Stiftung Denkmal; Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Denkmal Jama (deutsch: »Grube«) 1963 und heute. 1946 wird ein Obelisk mit russischer und jiddischer Inschrift eingeweiht. Er erinnert an 5.000 Juden aus dem Ghetto, die die Besatzer am 2. März 1942 in einer einzigen Aktion ermordeten. Das Denkmal ist eines der wenigen, die in der frühen Nachkriegszeit ausdrücklich in Erinnerung an jüdische Opfer aufgestellt werden und die Sowjetunion überdauern. Die von Leonid Lewin, Aleksandr Finskij und Elsa Pollak entworfene Skulpturengruppe wird im Juli 2000 enthüllt. Das Denkmalsensemble ist das zentrale Gedenkzeichen für die Opfer des Holocaust in Belarus.

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk; Stiftung Denkmal; Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Denkmal Jama (deutsch: »Grube«) 1963 und heute. 1946 wird ein Obelisk mit russischer und jiddischer Inschrift eingeweiht. Er erinnert an 5.000 Juden aus dem Ghetto, die die Besatzer am 2. März 1942 in einer einzigen Aktion ermordeten. Das Denkmal ist eines der wenigen, die in der frühen Nachkriegszeit ausdrücklich in Erinnerung an jüdische Opfer aufgestellt werden und die Sowjetunion überdauern. Die von Leonid Lewin, Aleksandr Finskij und Elsa Pollak entworfene Skulpturengruppe wird im Juli 2000 enthüllt. Das Denkmalsensemble ist das zentrale Gedenkzeichen für die Opfer des Holocaust in Belarus.

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk; Stiftung Denkmal; Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

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In Gorodeja, 90 Kilometer südwestlich von Minsk ermorden deutsche Einheiten am 17. Juni 1942 1.137 jüdische Bewohner des dortigen Ghettos. Das Denkmal in Erinnerung an die Opfer entsteht 2004 nach den Plänen von Leonid Lewin.

Stiftung Denkmal

Erinnerungskultur in Deutschland

Das Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, im Hintergrund das Reichstagsgebäude. Das vom Bund gebaute Holocaust-Mahnmal eröffnet 2005 nach langen gesellschaftlichen Debatten. Es ist heute einer der meistbesuchten Orte Berlins.

Stiftung Denkmal

Nach der Teilung Deutschlands entwickeln sich in der Bundesrepublik und in der DDR unterschiedliche Gedenkkulturen. Im Mittelpunkt der staatlichen Gedenkpolitik der DDR steht die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand.

In der Bundesrepublik überwiegt zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe und an Flucht und Vertreibung. Das ändert sich gegen Ende der 1970er Jahre: Allmählich entsteht eine vielfältige Erinnerungslandschaft, angetrieben vor allem durch lokale Initiativen, die an die verschiedenen Opfergruppen der nationalsozialistischen Verfolgung oder an den Widerstand erinnern wollen.

Nach der Wiedervereinigung entsteht eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption. Viele Orte der Erinnerung werden umfangreich überarbeitet. 2005 – 60 Jahre nach Kriegsende – eröffnet in Berlin das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Ihm folgen weitere nationale Denkmäler für andere Opfergruppen des Nationalsozialismus: für die ermordeten Sinti und Roma, die verfolgten Homosexuellen und die Opfer der Krankenmorde.

Bundesrepublik Deutschland

Das Kriegerdenkmal im Münchner Hofgarten, 1924 zu Ehren der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges eingeweiht. Nach 1945 wird die Widmung – wie bei Tausenden weiteren Denkmälern – auf die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ausgeweitet. Die Toten werden vor allem als Opfer gesehen.

Elisabeth zu Eulenburg

Das Kriegerdenkmal im Münchner Hofgarten, 1924 zu Ehren der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges eingeweiht. Nach 1945 wird die Widmung – wie bei Tausenden weiteren Denkmälern – auf die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ausgeweitet. Die Toten werden vor allem als Opfer gesehen.

Elisabeth zu Eulenburg

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Bergen-Belsen, 25. September 1945: Einweihung des ersten jüdischen Mahnmals auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers.

Die ersten Denkmäler in Erinnerung an ermordete Juden gehen auf Initiativen jüdischer Überlebender zurück. In der Nachkriegszeit warten Zehntausende, zumeist osteuropäische Holocaustüberlende in Lagern der Alliierten – oft ehemaligen Konzentrationslagern – auf eine Gelegenheit, in die USA, nach Israel oder Australien auszuwandern.

Yad Vashem Archive, Jerusalem, The Josef Rosensaft Collection FA 185 – 167

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Filmszene aus »08/15 – Zweiter Teil« mit Joachim Fuchsberger (1927–2014) und Hans Christian Blech (1915–1993). Mitte der 1950er Jahre ist die seichte Filmtrilogie nach dem gleichnamigen Roman von Hans-Hellmut Kirst (1914–1989) ein großer Publikumserfolg. Die Filmhelden – naiv-sympathische Wehrmachtsoldaten – erscheinen als Opfer einer unfähigen, sadistischen Führung. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Wehrmacht bleibt aus.

Divina Film GmbH, München

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Gesamtansicht des 1968 von Nandor Glid (1924–1997) geschaffenen Internationalen Mahnmals in Dachau. In der frühen Bundesrepublik kümmern sich ausschließlich die Überlebenden um den Erhalt der historischen Orte.

Ronnie Golz

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Auf dem brachliegenden Prinz-Albrecht-Gelände nahe der Berliner Mauer befanden sich bis 1945 die Zentralen von SS und Gestapo. 1987 entsteht hier die Ausstellung Topographie des Terrors, die auf großes Interesse stößt.

Hans D. Beyer

Deutsche Demokratische Republik

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Berlin, 15. September 1947: Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, ein Zusammenschluss Überlebender, hält einen Gedenktag für die Opfer des Faschismus im Berliner Lustgarten ab. Die 1946 gegründete SED sieht sich in der Tradition des antifaschistischen Kampfes, weshalb andere Opfergruppen des Nationalsozialismus kaum Berücksichtigung finden.

Bundesarchiv, Bild 183-2004-0331-501, k. A.

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Figurengruppe von Fritz Cremer vor dem Glockenturm auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Buchenwald. Die DDR nutzt die authentischen Orte des nationalsozialistischen Terrors schon bald als nationale Mahn- und Gedenkstätten: Buchenwald (1958), Ravensbrück (1959) und Sachsenhausen (1961). Auch hier steht der antifaschistische Widerstand im Mittelpunkt des Gedenkens.

Sammlung Gedenkstätte Buchenwald, Peter Hansen

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Szene aus dem 1963 gedrehten Spielfilm »Nackt unter Wölfen« nach dem gleichnamigen Roman des ehemaligen Buchenwald-Häftlings Bruno Apitz (1900–1979). Mitglieder des kommunistischen Widerstands im KZ Buchenwald verstecken ein Kleinkind vor den Wächtern und riskieren damit ihr eigenes Leben. Da sich der Blick ganz auf die Menschlichkeit der Helden konzentriert, bleibt dem damaligen Zuschauer die Frage nach der eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus erspart.

DEFA – Stiftung, Waltraut Pathenheimer

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Berlin, 1989: Kranzniederlegung von Pionieren am Sowjetischen Ehrenmal Treptow. Bereits wenige Monate nach Kriegsende lässt die Rote Armee Ehrenmale und Grabanlagen für ihre Gefallenen errichten. Die DDR demonstriert an ihnen ihre »unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion«. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1994 übernimmt die Bundesrepublik ihre Pflege.

Bundesarchiv, Bild 183-1987-0727-24, Thomas Uhlemann

Deutschland nach der Wiedervereinigung

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München, 24. Februar 1997: Protest gegen die Eröffnung der Wanderausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Zwischen 1995 und 1999 ist sie in 33 Städten zu sehen und erschüttert den Mythos von der sauberen Wehrmacht, die stets anständig und ehrenhaft geblieben sei.

picture-alliance/dpa, Bildnr. 2634697, Stefan Kiefer

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Kriegsgräberstätte Lebus, 8. Mai 2015: Zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges legt Bundespräsident Joachim Gauck einen Kranz nieder. In Lebus, etwa 60 Kilometer östlich von Berlin ruhen rund 5.000 sowjetische Soldaten, die bei der letzten Offensive des Krieges im Frühjahr 1945 fielen.

Bundesregierung, Jesco Denzel

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Einblick in die 2013 eröffnete Dauerausstellung des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst. Die Ausstellung versucht, verschiedene nationale Sichtweisen miteinander in Verbindung zu setzen.

Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Thomas Bruns

PERSPEKTIVEN

Luftaufnahme eines Teil der Gedenkanlage an den ehemaligen Erschießungsstätten in Blagowschtschina

IBB Minsk/Andrei Shauliuha

Die im November 2016 erstmals gezeigte belarussisch-deutsche Wanderausstellung war ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Verständigung und Versöhnung zwischen beiden Ländern. Seitdem wurde die Ausstellung in über zwei Dutzend Städten in Belarus, Deutschland, Österreich, Tschechien und der Schweiz gezeigt. Zehntausende Besucher haben sie gesehen, viele regionale und überregionale Medien haben über sie berichtet.

Die Ausstellung ging auf die Initiative des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks in Dortmund und der IBB »Johannes Rau« in Minsk zurück. Maßgeblichen Anteil an ihrer Verwirklichung hatten das Belarussische Staatliche Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges sowie die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit Sitz in Berlin. Historiker und Experten aus Belarus, Deutschland, Tschechien und Österreich hatten entscheidend an dem Projekt mitgewirkt.

Die nun vorliegende Digitalisierung und die Ergänzung um eine englischsprachige Übersetzung ist der nächste wichtige Schritt, um die Geschichte des Vernichtungsortes Malyj Trostenez international einem noch größeren Publikum bekannt zu machen. Besonderer Dank gilt dafür dem Auswärtigen Amt für seine großzügige Unterstützung ihrer Umsetzung.

Auch am historischen Ort selbst ist seit der Eröffnung der Wanderausstellung viel geschehen. Das wichtigste Ereignis war die Eröffnung des zweiten Abschnitts der Gedenkstätte Malyj Trostenez mit der feierlichen Einweihung des Gedenkareals an der ehemaligen Mordstätte Blagowschtschina in Anwesenheit der Staatsoberhäupter von Belarus, Deutschland und Österreich im Juni 2018. Dies war gleichzeitig jeweils der erste Besuch eines deutschen und eines österreichischen Bundespräsidenten in der Republik Belarus überhaupt. Im Jahr darauf wurde das Denkmal »Massiv der Namen« eingeweiht, das an die österreichischen Opfer des Vernichtungsortes Malyj Trostenez erinnert.

Nichtsdestotrotz bleibt die dauerhafte Dokumentation der historischen Ereignisse am historischen Ort als Zeichen der gemeinsamen Erinnerung ein wichtiges Ziel. Diese gemeinsam erarbeitete und nun auch im Internet zugängliche Ausstellung könnte dafür die Grundlage bilden.

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5. Mai 2015: Gedenkveranstaltung in Blagowschtschina mit Gästen aus Belarus, Deutschland, Österreich, Tschechien, Großbritannien und der Schweiz.

IBB Minsk

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5. Mai 2015: Gabriel Heim, Petr Klenka, Kurt Marx, Hermann Völker und Michael Marx am Rande einer Gedenkveranstaltung. Sie alle sind Angehörige von Trostenez-Opfern.

IBB Minsk

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Im Beisein des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und des österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen (von links nach rechts) ist der zweite Bauabschnitt des insgesamt rund 100 Hektar großen Erinnerungsortes Trostenez am Freitag, 29. Juni 2018, in einer würdigen Zeremonie eröffnet worden.

IBB Minsk

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Das Mahnmal „Der Weg des Todes“ führt durch stilisierte Eisenbahnwaggons über eine Strecke von etwa 800 Metern zu 34 Massengräbern

IBB Minsk

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Das Denkmal “Massiv der Namen“ erinnert an die österreichischen Opfer. Das Memorial wurde auf Initiative mit Unterstützung der österreichischen Regierung gebaut.

Geschichtswerkstatt/Jana Bondar

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