FJODOR SCHUWAJEW
1921–1989

Fjodor Schuwajew im Jahr 1960. Das Bild entsteht anlässlich eines Zeitzeugengesprächs im Museum des Großen Vaterländischen Krieges Minsk.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Fjodor Schuwajew stammt aus dem Gebiet Archangelsk im Norden Russlands. Seit 1940 dient er als Soldat in der Roten Armee, beim Angriff der deutschen Wehrmacht ist er in Belarus stationiert. Im Dezember 1941 wird Schuwajew in der Nähe von Minsk festgenommen und im Gefängnis in der Wolodarskogo-Straße inhaftiert.

Ende April 1942 wird Schuwajew mit etwa 20 anderen Häftlingen nach Malyj Trostenez gebracht, wo er als Zwangsarbeiter das Lager mit aufbauen muss. Wenig später wird er Zeuge der Massenmorde in Blagowschtschina: Er muss Kleidungsstücke der dort ermordeten Juden ausbessern und wiederholt Gaswagen reinigen. Im Herbst 1943 gelingt ihm die Flucht. In dieser Zeit lernt er im Dorf Schabany Elena Schtscherbatsch kennen, seine spätere Frau. Er schließt sich den Partisanen an. Ab Oktober 1944 dient er wieder in der Roten Armee.

Nach dem Ende des Krieges bleibt er in Minsk und arbeitet in einem Automobilwerk. Schuwajew, mittlerweile Vater zweier Töchter, wird zu einem der bekanntesten Überlebenden von Malyj Trostenez und tritt bei Zeitzeugengesprächen auf. Er stirbt 1989 im Alter von 68 Jahren in Minsk.

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Lebenslauf, den Schuwajew bei seiner Anstellung im Automobilwerk 1948 niederschreibt. Seine Zeit als Lagerhäftling erwähnt er nur indirekt: »Von 1941 bis 1943 befand ich mich im besetzten Gebiet Minsk, wohnte in der Gemeinde Trostenez und war Landarbeiter im Dorf Schabany.«

Archiv Minskij Awtomobilnyj Sawod

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Minsk, Mitte der 1960er Jahre: Fjodor Schuwajew mit seiner Frau Elena (links) und den beiden Töchtern Elena und Tamara.

Privatbesitz Familie Schuwajew

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Fjodor Schuwajew 1975 bei einem Zeitzeugengespräch mit Schülern in Bolschoj Trostenez.

Trostenezkaja Srednaja Schkola

»Diese Wagen kamen ins Lager zurück und wir Häftlinge wurden aufgefordert, sie zu säubern. [...] Mittig im Wagenkasten fielen mir vergitterte Löcher auf, durch die wohl Abgase einströmten. [...] Die Wagen waren oft blutverschmiert, auf dem Boden lagen Haarbüschel, Klamottenfetzen und Zahnprothesen.«

Über die Reinigung der Gaswagen

»Am 9. Mai, dem Feiertag, nahm er mich mit zum Denkmal. Dort gab es noch ein kleines Grab. Er zeigte mir, wo früher das Lager war [...] Das fiel ihm sehr schwer. [...] Er war oft zu Gesprächen in Schulen, auch in Bolschoj Trostenez. [...] Außer an Feiertagen sprachen wir nie über dieses Thema.«

Schuwajews Tochter Elena im Jahr 2015

Hanuš Münz
1910–2010

Hanuš Münz im Sommer 1944 bei einer Parade in Minsk. Nach seiner Flucht aus Malyj Trostenez schließt er sich der belarussischen Partisanenbrigade »Schturmowaja« an und nimmt an zahlreichen Sabotageaktionen teil.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Hanuš (Hans) Münz kommt 1910 als Sohn einer tschechisch-jüdischen Familie in Prag zur Welt. 1938/39, bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei, plant Münz die Flucht nach Norwegen. Im Herbst 1941 wird er ins Ghetto Theresienstadt verschleppt und muss Zwangsarbeit leisten.

Ein Jahr später, am 25. August 1942, werden 1.000 Juden aus Theresienstadt nach Malyj Trostenez deportiert, so auch Hanuš Münz. Die Fahrt dauert drei Tage. Nach der Ankunft werden fast alle in Gaswagen ermordet oder im Wald von Blagowschtschina erschossen, lediglich 22 Häftlinge werden zur Zwangsarbeit im Lager Malyj Trostenez ausgewählt. Unter ihnen ist auch Münz, der sich als Schlosser ausgibt und fortan in einer Minsker Werkstatt arbeitet.

1943 gelingt Münz die Flucht. Er schlägt sich zu den Partisanen durch und kämpft bis Juli 1944 in ihren Reihen. Anschließend dient er bis Kriegsende in der Roten Armee. 1945 kehrt er in die Tschechoslowakei zurück, wo er später heiratet und eine Zahnarztpraxis eröffnet. Hanuš Münz stirbt kurz vor seinem 100. Geburtstag im Jahr 2010.

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Hanuš Münz (1910–2010), Miloš Kapelusz (1920–1942), Max Töpfer (1912–1942) und Leo Kraus (1921–1944). Die vier Männer sind Zwangsarbeiter in einem Bergwerk in Kladno und werden später gemeinsam aus Theresienstadt nach Malyj Trostenez deportiert. Kraus und Münz kommen als Zwangsarbeiter ins Lager, Kapelusz und Töpfer werden sofort bei der Ankunft in einem Gaswagen ermordet. Als Münz einen Deutschen fragt, wohin seine Freunde gebracht wurden, bekommt er zur Antwort: »Ah, die sind schon erledigt, die sind schon im Himmel.«

Národní archiv Praha, Hanuš Münz, 13.4. 1910, PŘ 1941-1950, M 2953/8; Miloš Kapelusz, 1.3. 1920, PŘ 1941-1950, K 736/4; Max Töpfer, 15.6. 1912, PŘ 1931-1940, T 342/29; Leo Kraus, 9. 10. 1921, PŘ 1931-1940, K 4302/21

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Ende 1940 versucht Hanuš Münz, aus dem besetzten Prag nach Schanghai auszuwandern. Doch in Europa herrscht Krieg, die Flucht misslingt. Nur wenige Monate später wird Münz nach Theresienstadt verschleppt.

Národní archiv Praha, Policejní ředitelství Praha – všeobecná spisovna, 1941-50, sign. H 2481/1, kart. 3294

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Deportationsliste des Zuges Bc 25 vom 25. August 1942. Von den 1.000 tschechischen Juden werden 978 sofort bei der Ankunft in Malyj Trostenez ermordet.

Národní archiv Praha, Okupační vězeňské spisy, sign. Transporty, Transport Ak Praha – Terezín, 24.11.1941.

»Da fuhr der Zug los. Ich weiß nicht, wie lange wir fuhren. Es war an der polnisch-sowjetischen Grenze, da blieb der Zug stehen, und sie haben uns aus den Personenwagen herausgejagt, und wir mussten in Güterwagen hinein. […] Da waren 70 oder 80 Menschen in einem Güterwagen. Wir mussten stehen. Ohne Wasser, ohne Essen. Die alten Leute haben am schlimmsten gelitten. Aber am schlimmsten war: Da gab es keine Toiletten. Das war das Allerschlimmste.«

Hanuš Münz über die Deportation aus Theresienstadt nach Malyj Trostenez

»Für die ankommenden Transporte war da eine improvisierte Bahnstation errichtet. [Dass ein neuer Transport ankam] haben wir erst gemerkt, als wieder Lastwagen voll mit Koffern bei der Scheune ankamen und wir […] den Inhalt sortieren mussten. […] neben uns im Hof war eine besondere Reparaturwerkstatt für die Gaswagen. Und wenn die Gaswagen wieder hergerichtet wurden, dann wusste ich: Es wird ein neuer Transport ankommen.«

Münz über die Zeit im Lager Malyj Trostenez Interview von Dieter Corbach, 1992

Zyra Goldina
1902–1942

Von Zyra Goldina oder ihrer Familie sind keine Bilder überliefert.

Zyra Goldina (geb. Milenkaja) und ihr Mann Efim Goldin (1906–1974) arbeiten vor dem Krieg in der Minsker Textilfabrik »Oktober«. Das Paar hat drei Kinder: Rahil (geb. 1928), Lazar (1931–1982) und Aron (1936–1942). Die Familie hat jüdische Wurzeln, lebt aber nicht religiös. Zu Hause wird Russisch gesprochen. Bei Kriegsausbruch wird Efim mit anderen Fabrikarbeitern ins Innere der Sowjetunion evakuiert, Zyra bleibt mit den Kindern zurück. Im Juli müssen sie ins Ghetto umziehen und leben fortan im Haus ihrer Schwester Ida auf engstem Raum zusammen. Die beiden älteren Kinder Rahil und Lazar müssen auf einem Güterbahnhof Zwangsarbeit leisten; immerhin können sie dabei Kleidung gegen Essen tauschen und so die Familie ernähren.

Am 28. Juli 1942 holen die SS und Helfer rund 10.000 Menschen im Ghetto aus ihren Häusern: 6.500 einheimische sowie 3.500 deutsche Juden aus dem Sonderghetto 2 – vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen. Sie werden in Lastwagen nach Blagowschtschina gebracht, erschossen oder in Gaswagen ermordet und verscharrt. Die Aktion dauert drei Tage. Unter den Opfern befinden sich auch Zyra Goldina, ihr fünfjähriger Sohn Aron sowie Zyras Schwester Ida.

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Vor dem Krieg lebt die Familie in einem Haus mit einem großen Hof unter der Adresse Revolutionsstraße 24. Auch von diesem Haus existieren keine Fotos mehr.

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Minsk, die ehemalige Choralsynagoge im Jahr 1932. Nach der Oktoberrevolution 1917 wird die Ausübung von Religionen – auch der jüdischen – stark eingeschränkt. Die Synagoge wird zunächst vom Jüdischen Staatstheater und später als Kino genutzt.

Belorusskij gosudarstwennyj archiw kinofotofonodokumentow, Dscherschinsk

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Die Tochter von Zyra Goldina, Rahil Perelman, 1946 und 1997. Sie lebt in New York. Ihre in Moskau lebende Tochter Tatjana Zukerman (geb. 1949) erzählt:

»Meine Mutter Rahil und ihr Bruder Lazar verließen jeden Tag das Ghetto, um zur Arbeit an der Bahnstation zu gehen. An einem Tag im Juli 1942 wurden sie auf der Arbeit festgehalten und durften nicht nach Hause gehen. […] Es gab sofort Gerüchte über einen Pogrom im Ghetto. Als sie ins Ghetto zurückkamen, war dort niemand mehr. Es war der größte Pogrom im Jahre 1942. Ihnen wurde gesagt, dass ihre Mutter und der Bruder Aron umgekommen sind, dass man sie nach Trostenez gebracht hatte. […] Meine Mutter und Lazar haben später versucht, sich den Partisanen anzuschließen, wurden auf dem Weg aber verhaftet und ins Minsker Gefängnis gebracht. Später wurde meine Mutter nach Auschwitz gebracht.«

Shoah Foundation, Los Angeles

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Die Tochter von Zyra Goldina, Rahil Perelman, 1946 und 1997. Sie lebt in New York. Ihre in Moskau lebende Tochter Tatjana Zukerman (geb. 1949) erzählt:

»Meine Mutter Rahil und ihr Bruder Lazar verließen jeden Tag das Ghetto, um zur Arbeit an der Bahnstation zu gehen. An einem Tag im Juli 1942 wurden sie auf der Arbeit festgehalten und durften nicht nach Hause gehen. […] Es gab sofort Gerüchte über einen Pogrom im Ghetto. Als sie ins Ghetto zurückkamen, war dort niemand mehr. Es war der größte Pogrom im Jahre 1942. Ihnen wurde gesagt, dass ihre Mutter und der Bruder Aron umgekommen sind, dass man sie nach Trostenez gebracht hatte. […] Meine Mutter und Lazar haben später versucht, sich den Partisanen anzuschließen, wurden auf dem Weg aber verhaftet und ins Minsker Gefängnis gebracht. Später wurde meine Mutter nach Auschwitz gebracht.«

Privatarchiv Familie Perelman

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Tatjana Zukerman (links) mit ihrer in Israel lebenden Cousine Shalhevet Sara Ziv. Ihre Großmütter waren Schwestern.

Angeregt durch die Erzählungen ihrer Mutter Rahil setzt sich Tatjana als Lehrerin für die Erinnerung an den Holocaust ein. Immer wieder erzählt sie Schülern die Geschichte ihrer Familie. 2015 nimmt sie an einem Seminar für Lehrer in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem teil. Durch Zufall erfährt sie, dass in Israel Verwandte leben.

Yad Vashem, Jerusalem

Lili Grün
1904–1942

Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Pf 41.644: C (1), retuschiert von Bronia Wistreich

Lili Grün kommt am 3. Februar 1904 als Jüngste von vier Geschwistern in Wien zur Welt. Ihre Eltern sterben früh. Als Jugendliche interessiert sie sich für Theater, Schauspiel und Literatur. Sie spielt auf verschiedenen Bühnen, etwa am neuen Theater der sozialistischen Arbeiterjugend in Wien. 1931 zieht Lili Grün nach Berlin. Sie schreibt Artikel, Gedichte und publiziert in Zeitschriften wie dem Magazin »Tempo«, dem »Berliner Tageblatt« und dem »Prager Tagblatt«. Gemeinsam mit anderen Künstlern gründet sie das Kabarett »Die Brücke«. Nach Aufenthalten in Prag und Paris kehrt sie 1933 nach Wien zurück, ihr erster Roman erscheint.

Als Jüdin erhält sie 1938 Publikationsverbot. Sie verarmt und leidet an Tuberkulose. Vermutlich 1940 wird sie von den Behörden gezwungen, ihre Wohnung aufzugeben. Zuletzt ist sie in einem Massenquartier für Juden im 1. Bezirk untergebracht. Am 27. Mai 1942 wird sie in einem Transport vom Aspangbahnhof Wien aus nach Minsk deportiert und am 1. Juni in Blagowschtschina ermordet.

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Lili Grün ist 29 Jahre alt, als ihr erster Roman »Herz über Bord« erscheint. Kurz nach der Veröffentlichung wird das Buch ins Ungarische und ins Italienische übersetzt. Ihr zweiter Roman »Loni in der Kleinstadt« erscheint 1935 bei einem Schweizerischen Verlag.

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Das Romanische Café am Kurfürstendamm in Berlin ist der Szenetreff von Schriftstellern, Journalisten, Künstlern und Schauspielern. Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit treffen das Künstlermilieu hart. Für Lili Grün sind Berliner Kaffeehäuser wichtige Anlaufstellen für neue Aufträge und Kontakte.

akg-images, Bildnr. 947655

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Berlin, 7. Mai 1931, die Vossische Zeitung berichtet über einen Auftritt »Lilly« Grüns und ihre »witzig-sentimentalen Gedichte«. Als Mitbegründerin des Kabaretts »Die Brücke« tritt sie gemeinsam mit Schauspielern wie Ernst Busch (1900–1980) auf. Für ihren Lebensunterhalt arbeitet sie tagsüber in einer Konditorei.

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Im südtirolischen Meran versucht Lili Grün 1935, ihre Tuberkulose zu kurieren. Ihr Verleger sammelt Spenden für den Kuraufenthalt, da Grün wegen des Publikationsverbots in Geldnot ist.

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Verladung des Gepäcks von Deportierten vor dem Sammellager in der Kleinen Sperlgasse. Lili Grün wird am 27. Mai 1942 nach Minsk deportiert. Ihr Schicksal teilen etwa 10.000 von insgesamt 50.000 Wiener Juden. Malyj Trostenez ist der Ort, an dem die meisten österreichischen Opfer des Holocaust ermordet werden.

Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien

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2007 wird in der Heinestraße 4 in Wien im Gedenken an Lili Grün ein »Stein der Erinnerung« gesetzt – ebenso für Oswald Levett, Alma Johanna König und Ber Horowitz, drei weitere österreichische Schriftsteller. Sie wurden 1942 in Malyj Trostenez bzw. in Stanislau (Iwano-Frankiwsk, Ukraine) ermordet.

Stiftung Denkmal

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Durch das Engagement einer Bürgerinitiative wird 2009 im 2. Bezirk von Wien ein Platz in der Nähe des Augartens nach Lili Grün benannt. Zur feierlichen Namensgebung findet eine Lesung ihres wieder aufgelegten Buches »Alles ist Jazz« statt.

Stiftung Denkmal

Erich Klibansky
1900–1942

Mädchenklasse der Jawne um 1935

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Erich Klibansky (1900–1942) wächst in einer orthodoxen jüdischen Familie in Frankfurt am Main auf. Er studiert Geschichte, Deutsch und Französisch. 1928 heiratet er die Hamburgerin Meta David (1902–1942). Die beiden ziehen nach Köln, wo Erich Klibansky 1929 Direktor des Jawne-Gymnasiums wird.

Die Jawne – 1919 gegründet – ist das erste jüdische Gymnasium im Rheinland. Als in den 1930er Jahren jüdische Schüler aus den öffentlichen Schulen gedrängt werden, erreicht die Schülerzahl ihren Höchststand. Klibansky versucht, seine Schützlinge auf die Emigration vorzubereiten. Nach den Novemberpogromen 1938 fasst er den Entschluss, die gesamte Schule nach Großbritannien zu verlegen. Im Jahr darauf organisiert er die Ausreise von 130 Schülern mit Kindertransporten dorthin.

Am 1. Juli 1942 wird die Schule geschlossen. Nur wenige Wochen später werden Erich Klibansky mit seiner Frau, den drei Söhnen Hans-Raphael (1928–1942), Alexander (1931–1942) und Michael (1935–1942) sowie rund 100 Jawne-Schülern nach Minsk deportiert. Insgesamt verschleppt die SS mit dem Transport Da 219 am 20. Juli 1942 1.164 Menschen aus Köln und Umgebung. Nach vier Tagen erreicht der Transport Minsk. Nach ihrer Ankunft werden sie in Lastkraftwagen zu neu ausgehobenen Gruben nach Blagowschtschina gebracht und dort erschossen oder auf dem Weg in Gaswagen getötet.

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Erich Klibansky um 1930. Klibansky ist erst 29 Jahre alt, als er Direktor der Jawne wird. Er möchte die jüdische Identität der Schüler stärken, ohne dass sie sich von der deutschen Gesellschaft abschotten. 

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Klibanskys Frau Meta mit den drei Söhnen Hans-Raphael, Michael und Alexander um 1936.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Die Synagoge der orthodoxen Gemeinde »Adass Jeschurun« wird 1943 bei einem Bombenangriff zerstört und Ende der 1950er Jahre abgerissen.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Die St.-Apern-Straße ist in den 1930er Jahren ein Zentrum jüdischen Lebens. In dem vierstöckigen Gebäude (links) sind das Lehrerseminar, die Volksschule »Moriah« und ab 1919 die Jawne untergebracht. 

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Englischklasse im Hof der Jawne-Schule, 1938. Um den Schülern das Leben in der Emigration zu erleichtern, legt die Schule besonderen Wert auf den Sprachunterricht: »[Frau Lüthgen, die Klassenlehrerin] brachte uns ein sehr gutes Französisch und Englisch bei, […] ich musste später […] in Frankreich untertauchen, und niemand merkte an meiner Sprache, dass ich keine Französin war.« (Anni Adler, ehemalige Jawne-Schülerin)

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Nach den Novemberpogromen 1938 holen jüdische Organisationen etwa 10.000 jüdische Kinder und Jugendliche aus dem Deutschen Reich nach Großbritannien. Vier Kindertransporte werden eigens für 130 Schüler der Jawne organisiert, die Klibansky auch persönlich begleitet.

Lern- und Gedenkort Jawne, Köln, Überlassung durch Familie Marchand, London

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Messebahnhof Köln-Deutz, Ausgangspunkt der Deportation am 20. Juli 1942. Helmut Lohn, Helfer der Synagogengemeinde bei der Abfertigung des Deportationszuges: »Es war ein Transport, den ich nie vergessen werde. Alles junge, kräftige Menschen, die sich selbst zu helfen wussten. Es war dies der einzige Transport, wo keine Trauer herrschte, wo das hundertprozentige Gefühl herrschte: Wir werden wiederkommen!«

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Postkarte, die Meta Klibansky am 21. Juli 1942 bei Berlin aus dem Zug wirft. Sie verabschiedet und bedankt sich bei der befreundeten Familie Jakoby.

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Seit 1997 erinnert der Löwenbrunnen vor dem ehemaligen Standort der Jawne an 1.100 ermordete jüdische Kinder und Jugendliche aus Köln, aber auch an die durch Erich Klibansky organisierte Rettung von 130 Kindern. Die Löwenfigur wurde durch einen der Geretteten, Hermann Gurfinkel (1926–2004), gestaltet. Der Platz trägt den Namen Erich Klibanskys.

Christian Herrmann

Jewgenij Klumow
1876–1944

Jewgenij Klumow als Student mit seiner späteren Ehefrau Galina, 1895

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Jewgenij Klumow wird in Moskau geboren und studiert dort bis 1904 Medizin. Während des Ersten Weltkrieges dient er als Stabsarzt in der russischen Armee. Seit den 1920er Jahren leitet Klumow die Gynäkologie an einem Minsker Krankenhaus und lehrt Geburtshilfe sowie Gynäkologie an der Medizinischen Hochschule.

Ab den ersten Tagen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion operiert er verwundete Soldaten in seiner Klinik und lässt sie ins Hinterland bringen. Anfang 1942 tritt Klumow in Verbindung zu Widerstandsgruppen in Minsk. Er versorgt sie mit chirurgischen Instrumenten, Medikamenten und Verbandstoff. Er behandelt Verwundete und sorgt dafür, dass sie später zu den Partisanen gelangen. Er versteckt Jugendliche in seinem Krankenhaus, um sie vor dem Abtransport zur Zwangsarbeit nach Deutschland zu schützen.

Im Oktober 1943 werden das Ehepaar Klumow und andere Ärzte in der Klinik festgenommen, verhört und gefoltert. Man bringt sie in das Lager an der Schirokaja-Straße. Im Februar 1944 ermordet die SS Klumow und seine Frau Galina in einem Gaswagen auf dem Weg nach Trostenez. Anschließend werden die Leichen vermutlich in Schaschkowka verbrannt.

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Jewgenij Klumow (Mitte) in einem Krankenhaus während des Ersten Weltkrieges

Muzej istorii mediziny, Minsk

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Minsk, 1940: Jewgenij Klumow (1. Reihe, 2. v. r.) mit seinen Kollegen des Ersten Sowjetischen Krankenhauses

Muzej istorii mediziny, Minsk

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Klumow ist in Belarus eines der bekanntesten Opfer von Trostenez. 1965 erhält er posthum den Titel »Held der Sowjetunion«. In Minsk sind ein Krankenhaus und eine Straße nach ihm benannt. Anlässlich seines 125. Geburtstags wird 2001 diese Briefmarke herausgegeben.

Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

»Am 8. Februar 1944 gegen Abend wurde eine Gruppe von Häftlingen aus dem Minsker Gefängnis ins Lager [in der Schirokaja-Straße] gebracht. Unter ihnen waren viele Ärzte, und ich erkannte sofort Jewgenij und Galina ... Prof. Klumow sah sehr schlecht aus, er war schwer krank [...] Unser Lagerarzt Gurewitsch, er war selbst Häftling, ließ die Klumows im Lazarett unterbringen, stellte ihnen sein Bett zur Verfügung [...] Ich verbrachte mit ihnen fünf Tage im Lazarett. Jewgenij erzählte mir von den Verhören [...] Er fühlte sich wegen seiner Diabetes äußerst schlecht [...] Galina war auch völlig erschöpft, sie konnte kaum das Bett verlassen … Gegen neun Uhr morgens ließ man alle Häftlinge inmitten des Lagers antreten [...] Wenige Minuten später fuhren die Gaswagen vor.«

Aus den Erinnerungen der Ärztin Ljudmila Kaschechkina, ehemaliges Mitglied der Widerstandsbewegung in Minsk

Nikolaj Walachanowitsch
1917–1989

Nikolaj Walachanowitsch bei einem Treffen mit Schülern, 1980er Jahre.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

Nikolaj Walachanowitsch arbeitet als Fahrdienstleiter am Bahnhof Negoreloje, 50 Kilometer von Minsk entfernt. Ab April 1943 stellt er Berichte über die verkehrenden Lasttransporte zusammen und leitet diese an Verbindungsleute der sowjetischen Aufklärung weiter.

Am 20. Juni 1944 – kurz vor der Befreiung von Minsk – wird Walachanowitsch verraten und zusammen mit mehreren Dorfbewohnern als Partisan vom SD verhaftet. Er wird ins Minsker Gefängnis an der Wolodarskogo-Straße gebracht und gefoltert. Dann bringt die SS ihn und andere Häftlinge am 29. Juni auf einem LKW nach Malyj Trostenez zur Erschießung. Er wird in eine Scheune geführt, in der bereits unzählige Leichen übereinander liegen, angeschossen und verliert ein Auge. Fast anderthalb Tage liegt er zwischen den Leichen, dann kriecht er – die Erschießungen dauern noch an – ins Freie und versteckt sich. Kurze Zeit später wird die Scheune von den Wachmannschaften angezündet.

Anfang der 1960er Jahre laden ihn die Behörden zur Zeugenaussage nach Moskau ein, da die Sowjetunion Material für einen Prozess gegen SS-Angehörige in Koblenz sammelt. Bis ins hohe Alter nimmt Walachanowitsch an Gedenkveranstaltungen in Malyj Trostenez teil, wo er Schülern von seinen Erfahrungen berichtet.

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Foto aus den Vorkriegsjahren: Nikolaj Walachanowitsch (rechts) mit einem Freund in der Dienstkleidung der Eisenbahner.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj mit seiner Frau Serafima (Mitte), der Schwester Tamara (links) und dem Bruder Alexander, etwa 1938.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj Walachanowitsch mit seiner Frau Serafima (rechts), der Tochter Galina (2. v. l.) und dem Sohn Leonid (2. v. r.) in den 1950er Jahren. Galina berichtet später über ihren Vater: »Er erzählte [seine Geschichte] auch den Enkelkindern. [...] Er wollte uns Kindern beibringen, was er erlebt hatte. [...] Wir sollten es für immer in unserem Gedächtnis behalten.«

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj Walachanowitsch mit seiner Frau Serafima (erste Reihe rechts) und Freunden im Dorf Negoreloje in den 1970er Jahren. Nikolaj Walachanowitsch verbringt sein gesamtes Leben in dem Dorf.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

»So wurden wir nach Trostenez gebracht, ins Lager, das früher für Juden bestimmt war. Wir trafen dort keine Menschen an, aber überall lagen Klamottenfetzen, Geschirr, Brot- und Kartoffelreste […] Der Wagen fuhr dicht an diese Scheune, genauer gesagt an ihr Tor. Sogleich ließ man die ersten fünf Häftlinge aussteigen. Sie betraten die Scheune, und sofort waren Schüsse zu hören. [...] Bald kam ich an die Reihe. [...] Ich sprang aus dem Wagen und ging zur Scheune. Dort lag Stroh auf dem Boden. Links am Eingang stand eine Reihe von drei oder vier Mann aus dem Strafkommando. Ich hob die Hände hoch, drehte mich um, den Rücken zu den Wachleuten, und ging an die Wand, so befahlen sie es mir mit Handbewegungen. Als ich mich umdrehte und einen Schritt machte, knallten die Schüsse. [...] Ich verstand gleich, dass ich noch am Leben war, doch wieso – das konnte ich nicht begreifen […] Die Erschießung dauerte bis zum späten Abend an [...] Etwa um sechs oder um sieben Uhr des nächsten Tages, am 30. Juni 1944, wurde die Erschießung fortgesetzt. [...] Gerade um die Zeit kam ein Wagen mit der nächsten Gruppe Häftlinge, die zum Tode verdammt waren. Das Strafkommando umringte den Wagen, das Scheunentor blieb einige Zeit außerhalb ihrer Sicht. Da gelang es mir, aus der Scheune zu kriechen. [...] Ich konnte bald ein Roggenfeld erreichen, wo ich mich versteckte und einschlief.«

Nikolaj Walachanowitsch

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Minsk, 3. Juli 1962: Nikolaj Walachanowitsch (vorn, mit Hut) zusammen mit seinem Sohn Leonid (rechts daneben). Die Gruppe ist am Tag der Befreiung auf dem Weg zur Kranzniederlegung in Bolschoj Trostenez.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

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Nikolaj Walachanowitschs Ausweis aus dem Jahr 1970, der ihn als ehemaligen Partisanen ausweist.

Privatarchiv Familie Walachanowitsch

»Meiner Mutter wurde mitgeteilt, dass Nikolaj ins Krankenhaus gebracht worden sei [...] Wir hatten ein Pferd [...] Mutter setzte mich auf das Fuhrwerk und sagte ›Wir fahren zu Vater‹ [...] Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich den Vater im Krankenhaus nicht erkannte. Sein Gesicht war komplett verbunden. Ich hatte sogar Angst, ihm näher zu kommen.«

Tochter Galina

Lea und Pinkas Rennert
1896–1942, 1894–1942

Lea und Pinkas Rennert bei ihrer Verlobung im Jahr 1920

Familienarchiv Rennert

Diese Biographie wurde vom Haus der Geschichte Österreich vorbereitet

Das Foto zeigt Lea Dlugacz und Pinkas Rennert, die beide aus der Bukowina stammten, anlässlich ihrer Verlobung im Jahr 1920. Nach ihrer Hochzeit übersiedelte das Paar nach Wien, wo 1922 ihre Tochter Silvia und 1926 ihr Sohn Erwin zur Welt kamen. Lea Rennert kümmerte sich um Haushalt und Kinder, Pinkas Rennert arbeitete als Vertreter für Metallwaren, vor allem für die Firma „Brunner Verzinkerei“ der Brüder Bablik. Nach dem „Anschluss“ konnte Pinkas Rennert noch einige Zeit als Schweißer im Innendienst arbeiten. Schließlich wurde er von der Israelitischen Kultusgemeinde angestellt. Am 31. Oktober 1939 konnten beide Kinder in die USA ausreisen. Lea und Pinkas Rennert wohnten zuletzt in einer Sammelwohnung in der Odeongasse 5/9. Sie wurden am 5. Oktober 1942 nach Malyj Trostenez deportiert und ermordet.

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Familienfoto im Oktober 1938. Das Ehepaar Rennert mit Sohn Erwin (Mitte) und Tochter Silvia (rechts)

Das Ehepaar Rennert bemühte sich verzweifelt um eine Ausreisemöglichkeit für sich und ihre Kinder. Da beide aus der Bukowina stammten, kamen sie auf die rumänische Quote, was eine Wartezeit von mehreren Jahren bedeutete. Für die Kinder konnten sie schließlich ein Affidavit und ein Visum für die USA bekommen. Erwin (19262009) und Silvia (verh. Rivera, 19222011) verließen Wien am 31. Oktober 1939 und reisten über Triest in die USA aus.

Familienarchiv Rennert

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Am 7. August 1939 schrieb Pinkas Rennert seinem Cousin Benjamin Dlugacz (Ben Duglas) in New York und bat ihn, sich wegen der Unterbringung der Kinder an jüdische Organisationen zu wenden, weil die Familie Duglas selbst nicht vermögend war. Ben Duglas hatte in seiner Synagogengemeinde einen Herrn Freezer erfolgreich gebeten, für das Affidavit zu bürgen, dieser konnte sich aber nicht um die Kinder kümmern. Das Ehepaar Duglas nahm die Kinder schließlich selbst auf.

Familienarchiv Rennert

„Auf welchem Gleis [am Wiener Südbahnhof] steht der Zug? Mein Vater und ich finden unseren Waggon, unser Coupé, dazu den unbekannten, aber freundlichen Herrn Weissmann, den meine Mutter anschaut, als wäre er unser Schutzengel. Die Plattform ist spärlich beleuchtet. Ich sehe aber ihre Tränen, und wie sie sich in die Lippen beißt. Mein Vater hilft und noch, die Koffer zu verstauen. Es erinnert mich an das Gepäck im alten Perl [Auto] und an unsere Reise in die Bukowina. Auch meine Mutter betritt noch kurz das Abteil, betrachtet unsere Sitze, so als wollte sie sehen, wie sich unsere Zukunft gestalten wird. Eine letzte Umarmung, sie streicht mir noch über das Haar, küsst mich, dann muß sie aussteigen. Jetzt fährt der Zug langsam ab. Silvia und ich beugen uns aus dem Fenster, um den Eltern zuzuwinken. Ich sehe noch das blasse und verweinte Gesicht meiner Mutter, und wie der Vater sie am Arm hält. Beide winken, dann sind sie verschwunden.“

Erwin Rennert, Der Welt in die Quere. Lebenserinnerungen 1926–1947, Wien 2000, S. 125.

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„Wenn das Affidavit abgeht, soll Silvia unbedingt telegrafieren, daß es abgegangen ist, das ist sehr wichtig.“

In ihrem Brief vom 17. Februar 1941 an ihren Cousin in New York schrieben Lea und Pinkas Rennert über ihre Hoffnung, bald das Affidavit zu erhalten und machten Pläne für ihre Zukunft. Pinkas Rennert wollte als Elektroschweißer arbeiten, Lea Rennert Oblaten herstellen, sie hatte bereits einige Maschinen, die sie in die USA mitnehmen wollte. Sie schickten nochmals ihre genauen Geburtsdaten, damit es beim Affidavit keine Fehler geben würde. „… man ist halt sehr nervös“, vermerkte Pinkas Rennert – zwei Tage zuvor war der erste große Deportationstransport aus Wien nach Opole (Generalgouvernement) abgegangen.

Familienarchiv Rennert

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Auszug aus der Liste des Deportationstransports vom Aspangbahnhof nach Minsk/Malyj Trostenez vom 5. Oktober 1942

Archiv IKG Wien (Leihgabe im VWI), Bestand Wien, A / VIE / IKG / II / DEP / Deportationslisten

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Der Schutzpolizist Johann Peter schrieb am 19. Oktober 1942 einen „Erfahrungsbericht“ über die Deportation von 549 Jüdinnen und Juden am 5. Oktober 1942, darunter waren auch Lea und Pinkas Rennert. Detailliert beschrieb er die „Einwaggonierung“ am Aspangbahnhof, die von 15:00 bis 20:30 dauerte, zählte die einzelnen Bahnstationen des Transports auf und hielt fest, dass in Wolkowitz (Wołkowysk/Waukawysk, Weißrussland) die Deportierten von Personenwaggons in Viehwaggons umgeladen wurden. Der Transport kam nach vier Tagen am 9. Oktober in Malyj Trostenez an, wo die Wiener Wachmannschaft die aus Wien Deportierten an die SD-Männer vor Ort übergab.

Yad Vashem Archives, DN/27-3, fol. 27f.; Yad Vashem Archives/DÖW Mikrofilm 58

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Fritz (Siegfried) Kneller (19241942)

Fritz Kneller war ein Jugendfreund Erwin Rennerts. Am 30. Oktober 1939, am Tag vor der Abreise von Erwin, schenkte Fritz seinem Freund diese Fotografie mit der Widmung „Zur Erinnerung an Deinen Freund Fritz“. Fritz Kneller wurde mit seinen Eltern Abraham und Pesie Kneller am 27. Mai 1942 nach Malyj Trostenez deportiert und ermordet. Erwin Rennert bewahrte diese Fotografie in seinem Fotoalbum auf.

Familienarchiv Rennert

Walentina Schischlo
1936

Walentina Schischlo Ende der 1940er Jahre

Privatbesitz Familie Schischlo

Walentina Schischlo wird am 10. Februar 1936 im Dorf Beliza bei Schlobin geboren. Ihr Vater ist Offizier der Roten Armee und gerät bereits 1941 in deutsche Gefangenschaft. Während der Besatzung lebt die Familie in Beliza bei dessen Eltern. 1943 werden sie gezwungen, in einem Pferdestall zu hausen. Neben Einheimischen sind dort auch Zivilisten untergebracht, die aus Smolensk vertrieben worden waren.

Walentina ist acht Jahre alt, als sie im März 1944 zusammen mit ihrer Mutter Nina Danilowa und ihren vier Geschwistern von der Wehrmacht in das Lager bei Osaritschi verschleppt wird. Die Familie ist mehrere Tage unterwegs und muss dabei im Freien übernachten. Drei jüngere Brüder, Garik, Marat und Boris, kommen im Lager um. Walentina und ihre Schwester Klara überleben dank der Großmutter Warwara, die die Kinder auf den Schafspelz eines Toten bettet. Dennoch erkrankt Walentina an Typhus und muss nach der Befreiung in einem Lazarett behandelt werden.

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Walentinas Vater Fjodor Danilow, 1941. Als Gefangener kommt er ins Konzentrationslager Dachau und wird auf dem SS-Schießplatz Hebertshausen ermordet.

Privatbesitz Familie Schischlo

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Walentinas Mutter Nina Danilowa, 1937

Privatbesitz Familie Schischlo

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Walentina mit ihrer Mutter Nina und Schwester Klara (v. l. n. r.), Ende der 1940er Jahre.

Privatbesitz Familie Schischlo

»Wir starben einfach einen furchtbaren Tod. Das waren Hunger, Kälte und Typhus.«

»Am Morgen hat uns keiner geweckt, die Hunde bellen nicht, es ist kein Laut zu hören und langsam heben alle den Kopf, wer noch kann, steht auf. Da kommen sie, unsere Retter. Oh, wie vielen Menschen es das Leben kostet, denn alle stürzen ihnen [den Soldaten] entgegen. Und sie rufen: ›Bleibt da, rührt euch nicht vom Fleck […] die haben ja das ganze Lager vermint.‹«

Gespräch mit Walentina Schischlo am 21. Dezember 2018 in Minsk

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Walentina Schischlo im Museum in Osaritschi, 1990er Jahre. Die gelernte Technologin vermittelt seit Jahrzehnten ihre Erlebnisse als Zeitzeugin. Seit 2010 leitet sie den Ortsverein der Osaritschi-Überlebenden in Minsk.

Privatbesitz Familie Schischlo

Duderstadt (Niedersachsen), August 2017: Walentina Schischlo und andere Überlebende aus den Lagern bei Osaritschi zu Besuch auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks.

Privatbesitz Familie Schischlo

Duderstadt (Niedersachsen), August 2017: Walentina Schischlo und andere Überlebende aus den Lagern bei Osaritschi zu Besuch auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks.

Privatbesitz Familie Schischlo

Arthur Harder
1910–1964

Arthur Harder, etwa 1942

Bundesarchiv (BArch R9361-III/66590)

Dieser Text wurde vom Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt vorbereitet

Der 1910 in Frankfurt geborene Arthur Harder leitete von September bis November 1943 das Sonderkommando 1005-Mitte, das für die Spurenbeseitigung in Malyj Trostenez verantwortlich war. In dieser Zeit beteiligte er sich an der Ermordung von jüdischen und russischen Arbeitshäftlingen. Im November 1943 führte er in Malyj Trostenez die vom Reichssicherheitshauptamt befohlene Hinrichtung dreier jüdischer Häftlinge durch, die er bei lebendigem Leib verbrennen ließ.

An Arthur Harder erinnerten sich die meisten Kommando-Angehörigen als großen kräftigen Mann, der stets laut und brutal aufgetreten sei. Mit dem Satz „Ich will Figuren sehen!“ – als Figuren habe er sowohl die Leichen als auch die Häftlinge bezeichnet –, sei er auf die Leichenstapel im Wald von Blagowschtschina geklettert und habe die Arbeitshäftlinge mit Peitschen- oder Knüppelschlägen zu schnellerem Arbeiten angetrieben.

Arthur Harder hatte nach dem Besuch der Volksschule und einer kaufmännischen Lehre zunächst als Angestellter gearbeitet, war aber bereits 1929 der NSDAP und der SA beigetreten, 1930 schloss er sich der SS an. Ab 1938 war er hauptamtlich für den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS tätig. 1942 erfolgte seine Einberufung zur Waffen-SS, wo er ab 1944 den Rang eines Hauptsturmführers innehatte.

Im Mai 1945 geriet Arthur Harder zunächst in Gefangenschaft der britischen Streitkräfte, die ihn an die Amerikaner übergaben. Als SS-Angehöriger wurde er im Internierungslager Darmstadt inhaftiert. Die Spruchkammer stufte ihn in ihrem Urteil vom 2. Juli 1948 als „Minderbelasteten“ ein und verurteilte ihn zu einer Bewährungsfrist von zwei Jahren sowie zur Zahlung einer Wiedergutmachung von 200 Reichsmark.

Nach seiner Rückkehr nach Frankfurt-Eckenheim arbeitete er als Angestellter bei der Firma Krupp Fahrzeuge. In den 1950er Jahren ermittelte die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Singens antisemitischer Lieder während eines Treffens „Hilfsgemeinschaft ehemaliger SS-Angehöriger“ in einer Frankfurter Gaststätte. Während der Ermittlungen griff er einen Zeugen der Staatsanwaltschaft an, verletzte ihn schwer und wurde daraufhin vom Frankfurter Schöffengericht zu zwei Monaten auf Bewährung verurteilt.

1963 sprach ihn das Landgericht Koblenz des Mordes an den drei Juden, die er im November 1943 verbrannte, schuldig und verurteilte ihn zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Dieses Urteil wurde vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Arthur Harder verstarb am 3. Februar 1964 in Frankfurt.

»Ich war Soldat gewesen und habe eine Kompanie geführt und hatte auch keinen politischen Weitblick und musste glauben, dass wir den Krieg gewinnen würden. Von Grausamkeiten und Verbrechen, die von der SS begangen worden sind, ist mir nichts bekannt und habe von solchen während des Krieges auch nichts gehört.«

Arthur Harder über seine Funktion in der Waffen-SS (HHStAW, Spruchkammerakte von Arthur Harder (Abt. 520/Da Z Nr. 517804

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